Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaktus zum Valentinstag

Kaktus zum Valentinstag

Titel: Kaktus zum Valentinstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Schmidt
Vom Netzwerk:
alle gemeinsam den Mechanismus. Ich darf nicht gestört werden. Die emotionale Betreuung der RaRas übernimmt allein die Mau. Und Trost, den erwartet von mir niemand mehr. Jeder weiß, dass ich den nicht oder nur schwer oder ganz anders als gefordert geben kann.
    Während die RaRas das Leben in unserer Familie als kleine Kinder so angenommen haben, wie es sich ihnen anbot, stellen sie mit zunehmendem Alter kritische Fragen. Und das ist gut so. Sie sollen die Welt so begreifen lernen, wie es für sie von Vorteil ist, um später weiterzukommen.
    Auch wenn ich für die RaRas vielleicht wie eine emotionale Wüste erscheinen mag, es gibt eine ganze Reihe von Dingen, da würden sie nur ungern mit einem anderen Vater tauschen. Bei mir dürfen sie alles machen und so sein, wie sie wollen, solange es niemanden stört.
    Sie brauchen keinerlei Angst vor irgendwelchen Sanktionen zu haben, wenn sie schlechte Noten nach Hause bringen. Es gibt bei uns keine Strafen wie Taschengeldentzug oder Stubenarrest, weil diese Dinge nichts bringen. Sowohl die Mau als auch ich greifen stets nur beratend ein. Das Zuhause soll ein Ort der Erholung sein, ein Ort des Wohlfühlens. Für die Mau und für die RaRas bin ich wohl eher wie ein Vulkan. Wie der Mount Fuji. Man bewundert ihn, man verdankt ihm seinen fruchtbaren Boden. Aber er hat auch etwas Unheimliches an sich. Er könnte jederzeit ausbrechen und die eben noch herrlich erhabene, friedliche Umgebung in ein Chaos stürzen.
    Genau das passiert immer dann, wenn man meinen Tagesablauf empfindlich stören will. Wenn man mich mit Fernsehlärm nervt. Wenn man mir das spitzbergige Brötchen wegisst, das ich längst als meines identifiziert habe. Wenn mein Platz am Esstisch belegt ist.
    Weder für die Mau noch für die RaRas sind die Gründe für einen Vulkanausbruch einsehbar. Entsprechend unvorhersagbar wirkt er für sie. Wenn ich durch solche störenden Situationen in Stress versetzt werde, steigt in mir das Magma auf. Ich könnte also rein theoretisch vor dem drohenden Ausbruch warnen.
    Aber das gelingt meistens nicht, weil mit dem Aufstieg des Magmas auch das Noch-dicker-Werden der kommunikativen Mauer einhergeht. Ich bin dann nicht mehr in der Lage, etwas zu sagen. Ich weiß nicht, warum, aber es ist so. Für die RaRas sind es auch nicht die Vulkanausbrüche an sich, die ihnen zu schaffen machen, sondern deren Unvorhersagbarkeit. Wenn sie andere wütende Väter sehen, dann wissen sie, warum die Väter wütend sind: Er hat gesoffen oder das Kind hat eine Fünf nach Hause gebracht.
    Bei mir jedoch sind es einzig und allein Dinge, die damit zusammenhängen, dass meine Ordnung bedroht oder gar bereits zerstört worden ist.
    »Der Papa ist aber komisch!«, hätten die RaRas beide unabhängig voneinander beim Älterwerden irgendwann mal der Mau gesagt, sagt sie mir heute. Mir wird mehr und mehr klar, dass nicht meine RaRas die Geisterfahrer auf der Autobahn sind, sondern dass ich es sein könnte, der lichthupend alle anblinkt, die ihm entgegenkommen, weil sie ja aus seiner Perspektive die falsche Seite befahren. Mir schwant immer deutlicher, wie gewaltig anders ich als Kind in ihrem Alter war und damit anscheinend bis heute noch bin. Denn irgendwie scheinen die RaRas genauso zu sein wie all die anderen Kinder früher in der Schule. Und vollkommen anders als ich. Mit jedem Tag, der vergeht, scheine ich in immer höhere Gegenden vorzudringen, die einen Blick in das Land erlauben, in dem ich als Kind gewandelt bin. So wie jemand, der auf die Berge steigt und dann die Strukturen in der Ebene sieht und deren Zusammenhänge dadurch ganzheitlich versteht.
    Vor Jahren habe ich der Mau mal ein Buch geschenkt, das einen merkwürdigen Titel hat: Familienkonferenz . So als wenn man in regelmäßigen Abständen eine Art Status-Meeting am runden Tisch abhalten müsse, um eine Familie zu führen. Beim Herumblättern merkte ich aber, dass die Hinweise darin gar nicht so dumm sind. Wie man mit Kindern umgehen kann oder eigentlich ganz allgemein mit Menschen, die ein aus anderer Perspektive anscheinend nicht hinnehmbares Verhalten zeigen. Die Mau sagt heute, es sei dieses Buch, dass ihr im Umgang mit mir am meisten geholfen hat. Die Technik des aktiven Zuhörens, um sicherzustellen, dass Gesagtes richtig angekommen ist, das konsequente Verwenden von Ich-Botschaften und das Verzichten auf Strafen und Belohnungen sind für sie zu wichtigen Werkzeugen im sozialen Miteinander geworden. Seitdem versuchen wir stets bei

Weitere Kostenlose Bücher