Kaktus zum Valentinstag
der anderen irgendwas nicht stimmt. Irgendwas trennt mich von den anderen. Wie Wasser eine Insel vom Rest der Welt trennt. Das spüre ich.
Ich sehe immer Dinge, die andere nicht sehen und umgekehrt – das hat Vorteile und Nachteile – mein Gesicht regnet noch mehr, als ich an die Nachteile denke. Ich habe meine eigene Familie wie erträumt letztendlich gegen alle unsichtbaren Mauern und Kräfte bekommen und fühle mich doch in meinem Innersten irgendwie einsam. Denn niemand versteht mich. Niemand will mich wirklich verstehen. Ich bin T-T-T, total, total traurig.
Die Gedanken holen mich schließlich zurück nach 2006. »Charlie, die warten ja da unten im Auto auf dich!« Es ist wie damals, ich kann mich nicht verabschieden, ich könnte mich stundenlang ergötzen an diesem Vorbeirauschen der Autos. Immer wieder gehe ich los und wieder zurück. Jetzt, wenn das nächste Auto die Brücke passiert, dann istSchluss mit Kucken. Und wieder doch nicht. Irgendwann schaffe ich es, der Anziehungskraft dieser Stelle zu entkommen.
»Wo warst du denn bloß so lange? Wir warten hier und warten und warten. Du wolltest doch bloß mal kucken?!«
»Bloß mal kucken, ihr habt keine Ahnung, welche Bedeutung diese Stelle in meinem Leben einmal hatte – und immer haben wird!« Den kleinen Tomai, den kennt die Mau bis heute nicht, denn davon habe ich ihr, glaube ich, noch nie etwas erzählt. Das kann sie gar nicht verstehen – will sie vermutlich hier und jetzt auch gar nicht verstehen. Ich glaube, sie hat auch noch nie meine autonummernvollen Hefte gesehen, die bei der Locken noch irgendwo auf dem Boden herumliegen müssen.
»Da sind doch nur stinkende Autobahnabgase und viel Lärm, sonst nichts!«, sagt sie.
»Da ist viel mehr, aber ihr seht das ja alles nie! Lasst mich in Ruhe. Fahren wir nach Hause, okay?«, kontere ich.
»Ja, bitte! Wir wollen endlich los!«
Auf dem Weg nach Obersilencia hänge ich den Gedanken nach, der kleine Tomai – der kleine Tomai – der kleine Tomai. Es gibt ihn nicht mehr – und es gibt ihn doch noch.
»Was ist denn los?«, fragt die Mau.
»Was los ist, ich bin T-T-T!«
»Warum?«
»Keiner versteht mich! – Ich darf nicht mehr der sein, der ich eigentlich bin, das ist Ä-B!«
»Äußerst bedenklich? Wie meinst du das?«
»Als kleiner Junge war ich so fröhlich und interessiert an allem. Heutzutage ist das immer öfter ganz anders, weil ich im Laufe meines Lebens feststellen musste, dass Erfolg damit steht oder fällt, ob man mit den Menschen blöden Small Talk machen kann. Was hatte damals der Seminarleiter gesagt? ›Sie sind ein hervorragender Stratege, Sie haben offenbar einen hohen IQ, aber es gibt Dinge, das sind Basics, Herr Dr. Schmidt, BASICS, die jedes Grundschulkind bereits beherrscht, wo Sie riesige Lücken haben.‹«
»Und das macht dich T-T-T?«
»Ja, weil diese Lücken so sind wie bei einer Autobahn, die nicht zu Ende gebaut ist. Die ganze Verbindung ist wertlos, mein ganzes Streben, weil ich irgendetwas nicht sehe oder habe, was ihr alle habt und ich offenbar niemals – NIEMALS – haben werde.« Ich platzregne.Dann fahre ich fort: »Ich weiß nicht, ob ich 2008 noch da bin. Meine Visionen zerbrechen gerade an diesem Problem. So wie eine Autobahn, die um die entscheidenden Engpässe ewige Baulücken hat, so dass sich dort die Staus bilden, so dass damit die ganzen bereits gebauten Autobahnteile für den Durchgangsverkehr entwertet sind. Wie beispielsweise bei der A 66 in und um Frankfurt.«
»Freu dich doch über das, was du bauen konntest! Stattdessen siehst du immer mehr das, was du nicht bauen kannst!«
»Wenn man mir das vorher gesagt hätte, hätte ich auch das Gebaute gar nicht erst gebaut. Wozu? Es macht erst bei Vollendung des Gesamtwerks Sinn, so wie ein Puzzlespiel erst fertig ist, wenn die letzten Lückungen zugepuzzelt sind!«
»Vielleicht solltest du dir einen anderen Job suchen?«
»Nein, dieses Problem scheint fundamental zu sein, es war immer da, ob ich Schüler war, Student, Wissenschaftler, Projektleiter oder was auch immer. Dafür brauche ich keinen neuen Job, bestimmt nicht! Außerdem weiß ich, was ich an dem Job habe – leider auch, was nicht! Aber die Bilanz sieht woanders vermutlich auch nicht viel besser aus!
Denn es gibt keinen Job, bei dem ich unter fremder Führung für andere arbeiten muss, der mir gefallen könnte. Das kann es gar nicht geben. Dafür bin ich nicht geschaffen. Und das wird mich vielleicht früher oder später
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