Kaleidoscope: Kriminalroman (German Edition)
dringt aus dem Zelt. Und dann das wütende Trompeten des Elefanten.
»AMBASSADOR!«
Das Zelttuch birst mit einem Wasserschwall. Die Amazone wird aus dem zerbrochenen Trog geschüttet. Ambassador stürmt durch einen Haufen verbogenen Eisens, und unter den Schreien der Fetten Frau stampft er ihren spielzeuggleichen Liebhaber draußen in den Sand.
KAPITEL EINS
Jack Romaine streute etwas Prince Albert auf sein geschnorrtes Blättchen und suchte den Enquirer nach der einzigen Nachricht ab, die zählte. Da stand’s: Reds verlieren in den letzten Innings .
»Verdammt noch mal!«
Schon wieder einen Fünfer auf die Heimmannschaft verschwendet. In einer weniger spannenden Schlagzeile ging es um die jüngsten Bemühungen, das Rathaus zu entsumpfen: George Remus unterstützt Ende der Vetternwirtschaft in Cincinnatis Stadtverwaltung .
Der gute alte George. König der Schnapsschmuggler, bevor er hochgenommen wurde. Bevor er seine Frau umbrachte. Damit war er davongekommen, mit dem Mord. Und jetzt war ein angesehener Bürger. Ein hohes Tier.
Manche Kerle hatten wirklich immer Glück.
Jack hielt ein brennendes Streichholz an seine Zigarette und zog kräftig. Verdammt warm, dieser Morgen. Kein Lüftchen vom Fluss her. Gut, dass es den Springbrunnen gab. Häufig beging Jack seinen Morgen hier am Fountain Square, wo er müßig mit einer Zigarette, einer Zeitung und einem Kater unter der Bronzegöttin des Springbrunnens saß und Richtung Osten schaute, wo einstder Fifth Street Market gewesen war und sich jetzt ein moderner Boulevard erstreckte, auf dem es von Automobilen und Menschen nur so wimmelte. Eine demokratische Mischung: Börsenmakler und Rohrschlosser, Bankiers und Hotdog-Verkäufer schlenderten die breite Straße entlang.
Aber vor allem die Frauen hatten’s ihm angetan. Jack schaute gern den Frauen auf der Straße hinterher. Junge Mädchen im Flapper-Look mit Perlen und gerade geschnittenen Röcken. Manche trugen die Strümpfe auf Halbmast. Die Haare kurz wie Jungs und mit einem Topfhut drauf. Man sah sie oft in den Speakeasys, wo sie ihre Drinks mit eigenem Geld bezahlten, immer eine Zigarette zwischen den Lippen. Und stiekum mit irgendeinem Beau rumfummelten. In den Waschräumen ging’s heiß her, das konnte man wohl sagen. Waren auch ein paar wirklich gut aussehende Miezen dabei.
Aussehen war für Jack wichtig. Denn das war so ziemlich alles, was er zu bieten hatte: Gesicht und Figur wie ein Filmstar. Die Mädchen bei Gilbert’s fanden, er sehe aus wie ein romantischer Held. Haselnussbraune Augen in einem breiten Gesicht mit kräftigem Kinn. Er bemühte sich, sein Gesicht vor Brüchen, Stichwunden und anderen entstellenden Verletzungen zu schützen. Er hatte reine Haut. Glatt wie ein frisch versohlter Babypopo, hatte irgendeine Braut mal gesagt. Und dann seine Haare. Ein dichter Schopf mit Mittelscheitel, schwarz glänzend, mit Pomade zurückgekämmt. Mit dem Messer geschnitten, sodass es im Nacken schön auslief.
Seine Klamotten waren ganz in Ordnung. Zwar alles gebraucht gekauft, aber das war ganz wunderbar so, denn man wollte sich ja nicht zu vornehm geben. Man sah jede Menge Knickerbocker und Großkariertes, aber Jack bevorzugte Anzüge. Er besaß zwei. Die Kluft, die er für seine Morgengeschäfte angezogen hatte, saß am besten: ein einreihiges Sakko aus Sommerwolle mit Oxford-Karo über einer zweireihigen Weste. Sein Hemd war ein bisschen zu lang – die reinweiße Hemdsbrust steif wie ein Brett gestärkt –, aber er konnte die Hemdsärmel unter den Ärmeln seines Sakkos zusammenraffen. Keine Fliege. Jeden Morgen band er sich einen einfachen Krawattenknoten, um seinen Kläppchenkragen zu betonen.Seine Kordhose mit Aufschlag glänzte schon ein wenig. Seine Halbschuhe aus zweiter Hand putzte er stets mit Sattelseife und brachte sie auf Hochglanz. Natürlich brauchte jeder, der etwas auf sich hielt, den passenden Deckel, und auch Jack hatte einen. Einen schwarzen Fedora, den er direkt auf der anderen Straßenseite bei Gibson’s geklaut hatte.
Schmuck besaß er nicht viel. Einen Ehering, was in diesen stürmischen Zeiten aber nicht viel bedeutete. Jack hätte den Ring gar nicht tragen müssen. Seine Frau war fast fünf Jahre zuvor an der Grippe gestorben. Aber es schien irgendwie nicht richtig, das Ding abzunehmen. Vielleicht brauchte er es als Erinnerung. Vielleicht hatte er sich auch nur an sein Gewicht gewöhnt.
Irgendwas war’s.
In seiner Westentasche hatte Jack eine Uhr, aber nur zur Schau,
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