Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
mein Freund.«
»Und was sollen wir jetzt machen?«, fragt er kaum hörbar.
»Ich fürchte, wir müssen erst mal die Kollegen rufen«, sag ich.
Das Hosentürl vom Jürgen ist noch immer offen. Das ist würdelos, darum mach ich es zu. Danach schau ich noch nach seinem Ausweis. Schließlich will man ja wissen, wen man da als Toten so vor sich hat.
Wie schließlich die Kollegen aus Gelsenkirchen kommen, ist es genau so, wie wir befürchtet haben. Sie sind erst mal zu zweit, einer mit Brille, der andere mit Ohrring, und sie haben ihren Mörder schnell gefunden. Der Rudi und ich, wir waren ganz ehrlich und haben ihnen die Geschichte so erzählt, wie sie sich eben zugetragen hat. Und kurz darauf klicken auch schon die Handschellen und der Rudi wird auf die Rückbank des Streifenwagens verfrachtet. Anschließend rollt die Spurensicherung an. Und zuletzt ein älterer Herr auf einem Rennrad. Er fährt stehend und tritt wie wild in die Pedale, um den steilen Berg hochzukommen. Alle Achtung.
»Aha, dann sehen wir mal«, sagt er, nachdem er sein Rad abgestellt hat und in Richtung Leiche geht. Der Polizist mit dem Ohrring informiert den rüstigen Radler kurz über den aktuellen Tatbestand. Danach geht er zum Streifenwagen zurück und steigt ein. Als sie losfahren, wirft mir der Birkenberger die sehnlichsten Blicke zu, die ich Zeit meines Lebens erhalten habe. Dass sie mich nicht auch noch eingepackt haben, verdanke ich einzig und allein der Tatsache, selber Polizist zu sein. Und das ist in solchen Situationen durchaus von Vorteil. Ich muss die Sache regeln, sonst kann der Rudi die nächsten zehn Jahre wohl in Gelsenkirchen im Knast verbringen. Ich mach mich auf den Weg zum Wagen. Und ich überlege.
Wenn wir einmal davon ausgehen, dass der Jürgen mit dieser Gabi nicht nur Bett, sondern auch Tisch geteilt hat, müsste es ja wohl auch ihre Adresse sein, die auf seinem Ausweis stand.
Also mach ich mich erst auf den Weg zu Flöz Sonnenschein. So ein schöner Name für so einen hässlichen Anlass. Ich finde die Hausnummer sofort, steig aus dem Wagen und läute.
»Was willst du hier?«, fragt die Gabi ganz mürrisch durch den Türspalt hindurch.
»Ich muss mit dir reden«, sag ich.
»Ich wüsste nicht worüber«, sagt sie und ist im Begriff die Haustür zu schließen.
»Ich bin nur deinetwegen hier, Gabi. Ich persönlich hab überhaupt nichts davon, verstehst du? Wenn es dich also nicht interessiert …«, sag ich und tu so, als ob ich wieder zum Auto zurückwill.
»Meinetwegen, komm rein«, sagt sie und linst über meine Schulter hinweg den Flöz Sonnenschein runter. Ich betrete den winzigen Flur, von dem eine winzige Treppe nach oben führt, und irgendwie hab ich das Gefühl, hier kämen gleich die sieben Zwerge runter.
»Na, dann komm schon«, sagt sie und geht vor mir her in ein winziges Zimmer. Es ist wohl das Wohnzimmer, jedenfalls steht eine Couch drin. Auf die setz ich mich nieder, lehn mich breitbeinig zurück und schau Gabi an. Sie fuchtelt nervös an einer Zigarettenschachtel, kramt ein Feuerzeug hervor und beginnt zu rauchen. Ich schau sie immer noch an. Sagen tu ich nix. Gar nix.
»Also, was ist jetzt?«, fragt sie, nimmt einen hastigen Zug und drückt die Kippe aus.
»Der Jürgen liegt verletzt auf der Halde«, sag ich ganz langsam.
»Wie verletzt? Was meinst du damit? Und was hab ich damit zu tun?«, sagt sie und zündet eine neue Zigarette an.
»Der Alkohol, die Wut, die anderen Weiber. Wieder eine Nacht lang nicht heimgekommen. Die Tussi auf der Halde. Da kommt wohl einiges zusammen, oder?«
»Du sprichst in Rätseln, Alter.«
»Wahrscheinlich wäre deine Rechnung sogar aufgegangen, Gabi. Ein Schuss aus der Waffe vom Rudi, noch dazu, wo der grade noch vor hundert Augen einen handfesten Streit mit dem armen Jürgen gehabt hat. Ein einziger tödlicher Schuss und der Kerl wär endlich Geschichte, gell? Aber leider, liebe Gabi, verwendet der Rudi eine spezielle Polizeimunition. Mannstopper heißt die im Jargon. Die dringen nicht so weit in den Körper ein«, sag ich und verschränke meine Arme.
Sie schaut mich kurz an, danach aber gleich wieder weg, und geht schließlich rüber zum Fenster. Sie schaut in die Nacht hinaus und zerrt am Vorhang umeinander.
»Ich schlag dir ein Geschäft vor, Gabi«, sag ich. Sie bleibt noch kurz unschlüssig stehen, wendet sich dann aber zu mir um und schaut mich auffordernd an.
»Sagen wir einmal, du hättest gewusst, dass der Rudi nur diese Mannstopper geladen hat.
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