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Kalifornische Sinfonie

Kalifornische Sinfonie

Titel: Kalifornische Sinfonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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immer auf die Schachtel. »Nicht während der ganzen Zeit«, sagte sie. »Ich konnte nämlich zu der Zeit keine Rolle bekommen. Solange ich noch ein kleines Mädchen war, hatte das niemals Schwierigkeiten gemacht, weil ich hübsch war und sehr genau wußte, wie man sich auf der Bühne bewegen mußte. Inzwischen war ich aber für Kinderrollen zu groß geworden und andererseits noch nicht erwachsen genug, um Damenrollen zu spielen. Ich steckte in dem Alter, wo Arme und Beine zu lang werden und man in allem und jedem aus dem Gleichgewicht kommt. Natürlich arbeitete ich; ich mußte ja arbeiten. Und ich bekam auch einen Job. Ich beschäftigte mich damit, einen Barsalon auszufegen. Daneben servierte ich Drinks für die Gäste. Aber ich verdiente nicht viel. Das Schlimmste war aber, daß ich Tag für Tag sehen mußte, wie meine Mutter litt. Sie hatte immer furchtbare Schmerzen.«
    Sie schwieg ein Weilchen; es sah aus, als sinne sie nach. Ohne die Augen zu heben, fuhr sie schließlich fort: »Ich kann alles ertragen, was mir selber geschieht. Aber ich halte es nicht aus, andere Menschen leiden zu sehen. Ich bin oft zur Arbeit gegangen mit der Hoffnung im Herzen, sie möchte tot und von ihren Leiden erlöst sein, wenn ich nach Hause käme.«
    Ihre Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln: »In dem Salon, in dem ich beschäftigt war, verkehrte ein alter Mann. Er litt an Krämpfen und epileptischen Anfällen; ich fürchtete mich vor ihm. Aber er war immer sehr nett und freundlich zu mir. Er handelte mit allerlei narkotischen Mitteln. Er gab mir manchmal ein weißes Pulver und sagte, ich solle es meiner Mutter geben; es würde ihr helfen. Und es half ihr auch, es verschaffte ihr Schlaf. Er verlangte niemals Geld dafür, er gab es mir immer so. Menschen, die einem seltsam und merkwürdig vorkommen, sind meistens gut. Viel später, als ich schon im ›Schmuckkasten‹ arbeitete, ging ich noch einmal in den Salon und fand den Alten noch dort. Ich fragte ihn, ob er nicht in ein Altersheim gehen wolle, um sich das Leben etwas bequemer und ruhiger zu machen; aber er wollte nicht. Deshalb gab ich ihm dreihundert Dollar; damit konnte er unterkommen, wo es ihm gefiel.«
    Garnet war ganz durcheinander. Traurige Geschichten pflegten sie schrecklich aufzuregen. In der Regel begann sie zu weinen, wenn sie dergleichen hörte. Jetzt weinte sie nicht. Ihr empfindsames Herz spürte die Tragik unter Florindas Erzählung. Sie sagte:
    »Und Sie haben nie wieder etwas von Ihrem Vater gehört?«
    Florinda schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe nie wieder von ihm gehört.«
    »Nehmen Sie an, daß er tot ist?«
    »Ich hoffe, er ist tot«, sagte Florinda hart. Und dann fraß sich der verhaltene Haß in ihr durch. Sie sagte: »Ich hoffe, er starb schreiend vor Schmerzen wie meine Mutter. Ich hoffe, er starb in einer elenden Mietskaserne, vier Treppen hoch, ohne Wasser und Brot und mit Lumpen in den Fensterritzen, um Schnee und Unwetter abzuhalten.« Sie entblößte die Zähne und stieß ein böses Lachen aus. »Spaßig, daß Sie mich auf diese alten Geschichten bringen«, sagte sie. »Ich erinnere mich sonst nicht gern daran. Ich fange dann immer leicht an, mich meiner selbst zu schämen.«
    »Aber Florinda!« rief Garnet, »warum sollten Sie sich schämen? Sie waren ja noch ein Kind. Sie taten doch alles, was Ihnen möglich war, und mehr, als irgend jemand vernünftigerweise von Ihnen erwarten konnte.«
    »Ja«, sagte Florinda, »ich tat, was ich konnte. Ich wollte auch etwas anderes ausdrücken. Ich schämte mich, daß ein Mann, der mir zum Speien widerwärtig war, mein eigener Vater war. Außerdem: ich soll diesem Mann sehr ähnlich sein, äußerlich wenigstens.«
    Sie saß jetzt ganz still auf dem Fußboden zwischen Schachteln und Reisetaschen und gestapeltem Einwickelpapier. Garnet sah ihr klassisches Profil, ihre großen blauen Augen und ihr silbernes Haar. Sie fragte sich, wie es wohl sein möchte, wenn man sein eigenes Bild im Spiegel erblickte und denken mußte: dieses Gesicht ist das Vermächtnis eines Mannes, den du verachtest! Sie sagte, einem impulsiven Gefühl folgend: »Sie sind nicht so hilflos wie Ihre Mutter, Florinda.«
    Florinda lachte kurz auf. »Nein, Liebe, das bin ich gewiß nicht. Ich komme immer durch. Ganz gewiß wird mich kein Mann auf diese Weise umbringen, wie jener Mann meine Mutter umbrachte.« Sie sah Garnet über die Schulter an. »Ich werde zweifellos eines Tages auch an irgendeiner Geschichte dieser Art

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