Kalle Wirsch und die Wilde Utze
unerhört, unanständig, ungehobelt,
unglaublich — oder besser noch ungeheuerlich.«
»Und du«, rief Tutulla, »du bist
unverbesserlich. In den dramatischsten Augenblicken hast du nur deine
Wortspinnerei im Kopf.«
»Wenn du da bist, liebe Tutulla, gibt es immer
dramatische Augenblicke.«
»Halte mich nicht auf!« schrie Tutulla. »Ich
habe keine Minute mehr zu verlieren. Ich fliege zu Kalle Wirsch in die Burg.«
Sie flatterte in höchster Eile davon. Juke
blickte ihr kopfschüttelnd nach. »Eine eilige, ungeduldige Person«, murmelte
er.
Dann zog er seine Kreide hervor und schrieb
weiter an seinen Wörtern. Vorläufig störte ihn keiner mehr.
3. Kapitel
In der
Wiwogitrumu-Burg
D as alles geschah, während die Erdmännchen ihr Fest in der Burg
feierten.
Die Wände und Gewölbe des großen
Versammlungssaals waren überzogen mit einer Bilderschrift, in der die Abenteuer
von König Kalle geschildert wurden.
Die Wirsche hatten gerade das letzte Kapitel
seiner Taten in den Stein gemeißelt. Es handelte von dem erregenden Kampf
zwischen Kalle Wirsch und dem heimtückischen Zoppo Trump. Kalle Wirsch
betrachtete das Abbild nachdenklich und erlebte das Ereignis in seiner
Erinnerung noch einmal.
»Vergeßt es nie, Brüder«, sagte er, »man kann so
stark und so klug sein wie man will, aber wenn man keine Freunde hat, nützt das
wenig.«
»Freunde haben wir viele«, sagte Jümme.
»Den Kohlen-Juke zum Beispiel«, rief Tisso.
»Und Tutulla und den Feuerwurm», sagte Narro.
Kalle Wirsch schaute in die Runde. »Wo ist
eigentlich Tutulla? Sie hatte doch versprochen, zu unserem Fest zu kommen.«
»Sie wollte vorher aber noch in das liebliche
Tal mit den fetten Motten«, sagte Oppi.
»Wahrscheinlich konnte sie sich nicht davon
losreißen«, meinte Jümme.
»Das sollte mich wundern«, entgegnete Kalle Wirsch.
»Unser Fest hat sie noch nie versäumt. Die Wiwogitrumu-Küche schätzt sie über
alles.«
»Stimmt, ihre Freßgier ist bemerkenswert«, sagte
Xille.
»Ich muß zugeben«, sagte Kalle Wirsch, »das ist
eine Untugend von Tutulla. Mit dieser Freßlust hat sie uns schon manchmal in
Verlegenheit gebracht. Wenn wir über wichtige Pläne nachdenken, bekommt sie
Hunger. Wenn wir uns in aller Heimlichkeit verbergen, knurrt ihr der Magen.
Wenn wir in Eile sind, muß sie sich noch schnell etwas zum Fressen fangen.«
»Aber sonst ist Tutulla großartig«, rief Tisso,
und die andern stimmten zu.
In diesem Augenblick kam etwas in den Saal
gesegelt und huschte als kleiner schwarzer Schatten unter dem Gewölbe hin.
»Tutulla!« riefen alle wie aus einem Mund.
Die Fledermaus kreiste ein paar Runden, dann
ließ sie sich mit leicht gespreizten Flügeln vor Kalle Wirsch nieder und begann
hastig und aufgeregt zu reden.
»Aus! Alles aus! — Kein liebliches Tal mehr,
keine grünen Bäume, keine blühenden Sträucher, keine fetten Motten...« Sie
unterbrach sich und schaute beunruhigt über die Tische. »Und bei euch? Ich sehe
keine Teller, keine Schüsseln, keine Becher. Gibt’s hier vielleicht auch nichts
mehr zu essen?«
»Du kommst zu spät«, sagte Oppi. »Das Mahl ist
vorüber. Wir haben alles aufgegessen.«
»Aufgegessen?« schrie Tutulla. »Wirklich alles
aufgegessen? Das könnt ihr mir doch nicht antun.«
»Wärst du halt früher gekommen«, sagte Xille.
»Es gab Tausendfüßlerpastete, Mottenklöße, Spinnenpudding.«
Tutulla verfiel in hemmungsloses Jammern. »Das
habt ihr alles ratzekahl aufgegessen! Alles in euch hineingeschlungen! Habt
nichts mehr übriggelassen für die arme Tutulla! Aber...«, ihre Stimme wurde
schwach, »wenn ich jetzt verschmachte, ist es euer eigener Schaden.« Und dann
hauchte sie: »Ich hätte nämlich eine wichtige Nachricht für euch.«
»Eine wichtige Nachricht?« fragte Kalle Wirsch.
Er wußte, daß Tutulla in diesen Dingen nie übertrieb. »Um was geht es, und was
ist mit dem Tal, von dem du sprachst?«
»Ich wollte euch warnen.« Tutullas Stimme
erstarb. »Warnen...«
»Vor wem denn, vor was denn, so rede doch!«
riefen alle durcheinander.
Tutulla sank zu einem kleinen schwarzen Häufchen
zusammen und wimmerte: »Zu schwach.«
»Schnell«, rief Kalle Wirsch, »bringt ihr etwas
zu essen!«
Aber Tutulla hatte sich vorgenommen, nicht so
rasch nachzugeben. Sie wollte den Erdmännchen zeigen, daß sie sich nicht immer
foppen ließ. »Zu spät«, hauchte sie.
Narro, Poggo, Jümme, Xille und Ykko rannten in
die Küche und kamen mit vollbeladenen Tabletts
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