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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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an. Mein Haar war mit mattem Schwarz aufgefüllt worden. Ich war überrascht zu sehen -obwohl ich es stets gewunden und hochgesteckt trug, für gewöhnlich unter einem Schleier -, dass Leonardo noch genau wusste, wie es vor Jahren im Palazzo Medici ausgesehen hatte, als ich es noch offen trug. Es hatte die richtige Wellenform und die leichte Andeutung von Locken an den Spitzen.
    Heute standen fünf Zinnschälchen auf dem kleinen Tisch: eins mit Öl für die Pinsel, eins mit dem verdaccio und drei mit unterschiedlichen graugrünen Erdpigmenten, verdeterra genannt. Letztere trug er mit einer zarten, fließenden Bewegung auf, um »Schatten zwischen Schatten zwischen Schatten« zu schaffen, wie er sagte. Die dunklen
    Farben kamen zuerst, dann die mittleren Farbtöne, zum Schluss die hellsten, schichtweise aufgetragen.
    Den Text von Francescos rätselhaftem Korrespondenten hatte ich auswendig zitiert. Ich zitterte vor Kälte; meine Röcke waren feucht trotz des schwarzen Umhangs, den Salai mir umgelegt hatte. Der Raum war sogar um die Mittagszeit dunkel, wenngleich eine Laterne gelbes Licht an das Ölpapier vor dem Fenster warf. Im Kamin brannte ein Feuer, doch selbst das konnte weder die Kälte noch die Düsternis vertreiben. Der Winter kündigte sich an.
    Leonardo hob den Blick und strich sich gedankenverloren über das Kinn, als wäre sein Bart noch da. »Es ist gefährlich«, sagte er schließlich, »wenn Ihr das, was Ihr lest, interpretiert.«
    »Irre ich mich denn?«
    »Die Antwort auf Eure Frage ist unwichtig. Was zählt, ist allein Eure Sicherheit.«
    »Das ist mir einerlei«, erwiderte ich. »Piero kommt. Er versammelt eine Armee. Und wenn er hier ist, wird alles anders.«
    »Vielleicht kommt er. Vielleicht aber auch nicht . Glaubt Ihr wirklich, er würde zulassen, dass die Pazzi von seinen Unternehmungen Wind bekommen?« Er ließ die Hand mit dem Pinsel sinken und schaute mich eindringlich an.
    Er wollte noch mehr sagen, doch ich unterbrach ihn. »Das alles hat vor langer Zeit angefangen, nicht wahr? Mit Lorenzo?«
    Er blinzelte, und ich sah die Zurückhaltung, die Missbilligung in dieser winzigen Geste. »Lorenzo hat einen schweren Fehler begangen, als er seinem Hass nach dem Mord an seinem Bruder freien Lauf ließ. In seinen letzten Jahren hat es ihn verfolgt. Noch nach seinem Tod verfolgt es seine Söhne. Die Frage ist, ob man dem Zyklus der Gewalt Einhalt gebieten kann.«
    »Ihr wisst, wer ich bin«, sagte ich. »Ihr habt es Lorenzo gesagt. Ihr habt ihm an jenem Abend im Palazzo Medici ein Zeichen gegeben, als ihr mir die Skulptur von Giuliano gezeigt habt.«
    Bei diesen Worten hob er eine Augenbraue. »Ihr seid viel zu scharfsinnig, Madonna.«
    »Hat ... hat mein Giuliano es gewusst?«
    »Nicht, als Ihr ihn geheiratet habt, aber ...« Er hielt in-ne. »Ihr solltet acht geben, dass Ihr Eure Gefühle anderen gegenüber nicht zeigt.« Erneut hob er den Pinsel und sagte dann ganz sanft, wie zu sich selbst: »Manchmal wünschte ich, Ihr hättet Salai in jener Nacht nicht entdeckt.«
    »Mich erwischt man nicht.«
    »Vielleicht. Mir wird jetzt klar, dass Ihr so klug seid wie Euer Vater. Zu klug. Ich bitte Euch noch einmal dringend, nicht allzu lange über Eure Entdeckungen nachzudenken. Das könnte auch dazu führen, dass man Euch entdeckt, was Euch das Leben kosten könnte. Versteht Ihr?«
    »Ich kann den Mund halten«, antwortete ich ein wenig spitz. »Ich bin klug, wie Ihr schon sagtet. Ich werde nicht erwischt. Schließlich lebe ich mit einem Mann zusammen, den ich verachte - und er weiß nicht, was ich fühle.«
    »Aber ich weiß es, denn ich habe es in Eurem Gesicht gesehen, in jeder einzelnen Geste. Wer weiß, ob anderen das nicht auch schon aufgefallen ist?«
    Ich verstummte.
    Er schlug einen leichten Ton an. »Wie dem auch sei. Ich mache die Sache mit meinem bedrückten Gerede nicht besser. Schlimmer noch, ich habe dafür gesorgt, dass Ihr Euer Lächeln verloren habt. Ich weiß, dass Ihr klug seid und verschwiegen sein werdet. Wir wollen über fröhlichere Dinge sprechen. Über Euren Sohn vielleicht? Ich bin sicher, er sieht Euch ähnlich.«
    Seine Worte hatten die beabsichtigte Wirkung; ich dachte an Matteo und war sofort milder gestimmt. »Er wird so groß. Er krabbelt«, sagte ich stolz. »Manchmal so schnell, dass ich kaum nachkomme. Und er gleicht mir wirklich. Hat dunkle Augen mit dichten, langen Wimpern und die vollen Lippen seiner Großmutter . Und wenn ich ihn betrachte, sehe ich natürlich

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