Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
Schritt von mir ab, löste unsere Verbindung und zeigte auf mich, als wäre ich eine Siegestrophäe. »Das ist Madonna Lisa di Antonio Gherar-dini, Tochter des Tuchhändlers.«
Der Wachtelesser stellte seinen Teller ab, legte eine Hand auf seine Brust und machte eine tiefe Verbeugung. »Sandro Botticelli, ein bescheidener Maler. Ich freue mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Madonna.«
»Und das hier ist mein guter Freund Marsilo Ficino«, sagte Lorenzo, auf den älteren Herrn deutend, der sich wegen seines Alters und seiner Gebrechlichkeit nicht erhob; Ficino begrüßte mich mit beiläufigem Kopfnicken. »Unser Marsilo steht der Akademie von Florenz vor und ist außerdem der berühmte Übersetzer des Corpus Hermeticum, weshalb wir ihn alle hoch schätzen.«
»Es ist mir eine Ehre, meine Herren«, sagte ich zu beiden Männern und machte einen Knicks. Ich hoffte nur, der große Botticelli würde das Zittern in meiner Stimme nicht heraushören. Er hatte damals bereits seine größten Meisterwerke geschaffen: Die Allegorie des Frühlings, natürlich, und Die Geburt der Venus. Beide Gemälde zierten die Wände von Lorenzos Villa in Castello.
»Dieser junge Mann« - Lorenzo senkte die Stimme und lächelte den dunkelhaarigen, stirnrunzelnden jungen Mann matt an, der sich kaum überwinden konnte, uns anzusehen - »ist der begabte Michelangelo, der bei uns wohnt. Womöglich habt Ihr schon von ihm gehört.«
»Ja«, sagte ich, ermutigt vielleicht durch die außerordentliche Schüchternheit des jungen Mannes. »Ich besuche die Kirche Santo Spirito, in der sein schönes Holzkreuz hängt. Ich habe es immer bewundert.«
Michelangelo senkte den Kopf und blinzelte - eine Antwort vielleicht, vielleicht auch nicht, doch ich verstand es als solche, und die anderen hielten es offenbar für normal.
Mein Philosoph erhob sich. Er war schlank, groß und hielt sich gerade - sein Körper war ebenso wohlproportioniert wie sein Gesicht. Als er mich erblickt hatte, war er zuerst ein wenig zurückgewichen, als wäre er beunruhigt; als sein Unbehagen nachließ, machte es einer merkwürdigen, zärtlichen Melancholie Platz. »Ich heiße Leonardo«, sagte er leise, »aus dem kleinen Ort Vinci.«
23
Ich unterdrückte einen überraschten Ausruf. Mir fiel ein, wie meine Mutter und ich gemeinsam das letzte Bildnis an der Mauer auf der Piazza della Signoria betrachtet hatten, das des Mörders Bernardo Baroncelli. Diese Arbeit war viel sicherer und eleganter ausgeführt als die übrigen. Und nun stand der Schöpfer des Gemäldes direkt vor mir.
»Mein Herr«, sagte ich stockend, »es ist mir eine Ehre, einen so großen Künstler kennenzulernen.« Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Botticelli den Maler in gespielter Eifersucht mit dem Ellenbogen anstieß.
Leonardo nahm meine Hand und betrachtete mich so eingehend, dass ich rot wurde; in seinem Blick lag mehr als nur die Bewunderung eines Künstlers. Ich sah tief empfundene Hochachtung, vermischt mit einer Zuneigung, die ich nicht verdient hatte. »Und es ist mir eine Ehre, Madonna, einem lebenden Kunstwerk zu begegnen.« Er beugte sich vor und streifte meinen Handrücken mit den Lippen; sein Bart war weich wie das seidige Haar eines Kindes.
Bitte, wiederholte ich im Stillen, mach, dass er es ist.
»Ich dachte, Ihr wärt jetzt an Mailand gebunden«, sagte ich, da ich mich fragte, warum er hier in Florenz war.
»Stimmt, der Herzog von Mailand ist mein Gönner«, erwiderte er freundlich, als er meine Hand losließ. »Obwohl ich meine Karriere ausschließlich der Großzügigkeit von il Magnifico verdanke.«
»Ein ziemliches Genie, unser Leonardo«, schaltete Botticelli sich nüchtern ein. »In Mailand ist er Maler, Bildhauer, entwirft Pläne für prächtige Palazzi, leitet den Bau von Dämmen, spielt Laute und singt ...« Er schaute seinen alten Freund an. »Sag mal, gibt es eigentlich irgendetwas, das du nicht für den Herzog machst?«
Die Frage war ausgesprochen zweideutig; der alte Ficino wollte schon anfangen zu wiehern, besann sich dann aber eines Besseren, als wäre ihm plötzlich eingefallen, dass Lorenzo und ich anwesend waren. Lorenzo warf den beiden Männern einen unterschwellig warnenden Blick zu.
»Das ist der volle Umfang«, erwiderte Leonardo milde. »Auch wenn ich zugegebenermaßen Pläne habe, den Lauf der Sonne zu ändern.«
Alle brachen in Gelächter aus, außer Michelangelo, der sich noch fester an seinen Kelch klammerte, als fürchtete er sich vor dem Lärm.
»Wenn es
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