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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Lichter des Raumes.
    Obwohl sein Gesicht im Schatten lag, erkannte ich den Beobachter an seiner gekrümmten, von Schmerzen zeugenden Haltung: Es war Lorenzo de' Medici.
24
    Kurz darauf kehrten der Künstler und ich auf das Fest zurück. Leonardo hatte nur Zeit gehabt, einen Karton anzufertigen, wie er es nannte - eine rasche Skizze meiner grundlegenden Gesichtszüge mit Tinte. Ich war ein wenig enttäuscht; in meiner Naivität hatte ich erwartet, dass er mir in wenigen Minuten ein vollständiges Porträt präsentieren würde. Doch der Entwurf sah mir zweifellos ähnlich, auch wenn er die Pracht meines Gewandes oder meiner schönen Haube nicht wiedergab.
    Il Magnifico kam uns nun von der anderen Seite des Raumes entgegen, begleitet von einem Jungen, der ein oder zwei Jahre älter sein mochte als ich, und einem jungen Mann von etwa zwanzig Jahren. Trotz seiner Gebrechlichkeit und des Krückstocks bewegte sich Lorenzo plötzlich erstaunlich schnell, und als er bei mir war, nahm er meine Hand in die seine und drückte sie mit einer Wärme, die mich verblüffte.
    »Lisa, meine Liebe«, sagte er. »Ich vermute, Euch haben die wenigen Kunstwerke im Innenhof gefallen?«
    »Ja, sehr.«
    »Sie sind nichts im Vergleich zu dem, was Ihr jetzt sehen sollt.« Er wandte sich an die beiden jungen Männer neben ihm. »Aber zuerst möchte ich Euch meinen Söhnen vorstellen. Das hier ist mein Ältester, Piero.«
    Mit anmaßendem Desinteresse, das Botticellis weit in den Schatten stellte, verneigte Piero sich seufzend. Hoch aufgeschossen und mit breiten Schultern hatte er die Arroganz und den schlechten Charakter seiner verstorbenen
    Mutter und nichts vom Verstand oder Charme seines Vaters geerbt. In Florenz war allgemein bekannt, dass Lorenzo ihn zu seinem Nachfolger erwählt hatte, und alle bedauerten dies.
    »Und das hier ist mein Jüngster, Giuliano.« Sein Tonfall wurde unmerklich wärmer.
    Der Junge war wohlbekannt. Er sah seinem Vater nicht sehr ähnlich, denn er hatte ebenmäßige Gesichtszüge, eine gerade Nase, makellose Zähne und dieselben großen, forschenden Augen wie sein verstorbener Onkel. Sein Auftreten indes war so angenehm wie das seines Vaters. »Madonna Lisa«, sagte er. »Ein außergewöhnliches Vergnügen.« Ähnlich wie Leonardo verneigte er sich tief vor mir und küsste mir die Hand. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er meinen Blick und meine Hand so lange fest, dass ich den Kopf senkte und verlegen zur Seite schaute.
    Ich hatte den Eindruck, dass Lorenzo seinem Jüngsten einen warnenden Blick zuwarf, bevor er fortfuhr. »Mein Mittlerer, Giovanni, konnte am Fest nicht teilnehmen.« Er machte eine Pause. »Ihr Jungen seht zu, dass unser guter Leonardo genug zu essen hat und dass man sich nach seiner langen Reise um ihn kümmert. Was Euch betrifft, junge Madonna ...« Er wartete, bis die beiden sich entfernt hatten. »Es wäre mir eine große Ehre, wenn Ihr damit einverstanden wärt, Euch auch noch die Kunstwerke in meinen Privatgemächern anzusehen.«
    Sein Tonfall blieb neutral und hatte nicht den Anflug von Lüsternheit; es war ein galantes Angebot. Dennoch war ich vollkommen verblüfft. Ich war nicht so gebildet, um als Braut für seinen jüngsten Sohn in Frage zu kommen (Piero war bereits mit Madonna Alfonsina, einer geborenen Orsini, verheiratet), daher begriff ich auch nicht, warum ich den beiden vorgestellt worden war, es sei denn, um einer gewissen Höflichkeit Genüge zu tun. Und wenn ich hier war, um von potenziellen Ehegatten genauer in Augenschein genommen zu werden - besonders, wie ich hoffte, von Leonardo -, warum führte er mich dann von der Gruppe fort?
    Womöglich wollte der schlaue il Magnifico meine Fehler und Vorzüge näher herausfinden. Trotz meiner Verwirrung war ich begeistert. Nie im Leben hätte ich mir träumen lassen, je die berühmte Medici-Sammlung zu sehen.
    »Mein Herr, ich wäre hocherfreut«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Er umfasste meine Hände fest mit seinen verkrüppelten, als wäre ich seine Tochter; was immer während seiner Abwesenheit von der Gruppe geschehen sein mochte, es hatte Emotionen in ihm wach gerufen, die er mit aller Macht vor mir zu verbergen suchte.
    Wieder nahm ich seinen Arm, und wir gingen aus dem Raum, zurück durch die von Gemälden und Skulpturen gesäumten Korridore, dann eine Treppe hinauf. Dabei litt er unsägliche Schmerzen, doch er biss die Zähne zusammen und behielt einen langsamen, gemessenen Schritt bei; er klemmte seinen Stock unter

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