Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
einer fertigbringt, dann du«, spöttelte Ficino.
»Guter Leonardo«, sagte Lorenzo und wurde plötzlich ernst. »Ich möchte Madonna Lisa gern durch den Innenhof führen - doch ich brauche ein wenig Ruhe, und es ist an der Zeit, dass ich einen der giftigen Heiltränke einnehme, die mein Arzt mir verschrieben hat. Wärst du wohl so nett?«
»Ich kann mir nichts Köstlicheres vorstellen.« Der Künstler bot mir seinen Arm.
Ich hakte mich unter, nervös, was ich mir aber nicht anmerken ließ. War das ein Zeichen dafür, dass il Magnifico in ihm einen möglichen Heiratskandidaten für mich sah? Die Aussicht auf ein Leben mit diesem charmanten, begabten, berühmten Fremden - selbst im entfernten Mailand am Hofe des Herzogs Ludovico Sforza - erschien mir annehmbar, auch wenn ich eigentlich noch zu jung war.
»Dann werde ich mich einen Augenblick zurückziehen.« Lorenzo entschuldigte sich mit einer kurzen, steifen Verbeugung.
»Es ist höchst ungerecht«, sagte Botticelli und sah ihm nach, »dass nur einer von uns das Vergnügen haben soll, Euch zu begleiten.«
Leonardo und ich verabschiedeten uns. Er lenkte mich auf eine Doppeltür auf der anderen Seite des Raumes zu; als wir uns näherten, machten zwei Diener sie für uns auf.
Beim Überschreiten der Schwelle sagte Leonardo zu mir: »Ihr dürft nicht nervös sein, Lisa. Ich sehe Euch als eine intelligente, empfindsame Frau; Ihr seid hier unter Euresgleichen, keiner ist Euch überlegen.«
»Das zu sagen ist sehr nett von Euch, mein Herr, aber ich habe keine Begabung. Ich kann nur die Schönheit bewundern, die andere erschaffen.«
»Schon ein Auge für Schönheit zu haben ist eine Gabe. Ser Lorenzo besitzt dieses Talent.«
Die Luft draußen war kühl, doch es gab mehrere große Fackeln und ein kleines offenes Feuer, von aufgeschichteten Steinen umsäumt.
»Madonna, darf ich Euch meinen Umhang anbieten?« Er wandte mir sein vollkommenes Gesicht zu; das Licht der untergehenden Sonne verlieh seiner Haut einen korallenroten Schimmer.
Ich warf einen Blick auf das angebotene Stück Stoff; es war aus dünner, dunkler Wolle, abgetragen und geflickt. Ich lächelte. »Mir ist nicht kalt, danke.«
»Dann darf ich Euch kurz herumführen.« Er lenkte mich zum offenen Feuer. Daneben stand auf einem hohen Sockel die Bronzestatue eines nackten jungen Mannes mit langem gelocktem Haar, das unter einem Schäferhut aus Stroh hervorquoll; sein Körper hatte weiche, runde Formen wie eine Frau. Er hatte kokett eine Faust in die Hüfte gestemmt, in der anderen Hand hielt er das Heft eines Schwertes, dessen scharfe Spitze auf dem Boden ruhte. Zu seinen Füßen lag das groteske, abgetrennte Haupt eines Riesen.
Ich ging darauf zu; der Feuerschein schimmerte auf dem dunklen Metall. »Ist das David?«, fragte ich. »Er sieht ja aus wie ein Mädchen!« Sogleich hielt ich meine Hand vor den Mund, denn meine gedankenlose Bemerkung war mir peinlich. Wer war ich schon, dass ich ein Meisterwerk so rüde beurteilte?
»Ja«, murmelte mein Begleiter, eine Spur abgelenkt. Mit einem kurzen Blick auf ihn stellte ich fest, dass er mich die ganze Zeit betrachtet hatte, als hätte er noch nie eine Frau zu Gesicht bekommen. »Der David vom großen Do-natello.« Nach einer langen, unbefangenen Pause kam er wieder zu sich und sagte: »Er steht immer hier; tatsächlich hat er diesen Innenhof seit Lorenzos Kindheit bewacht. Aber noch andere Sachen sind zu Eurer Erbauung hierher gebracht worden.«
Zu meiner Erbauung? Ich dachte darüber nach und gelangte schließlich zu der Überzeugung, dass Leonardo sich in Schmeicheleien übte.
Dann gelangten wir zu zwei Büsten, die jeweils auf einem Sockel standen und beide derart verwittert waren, dass ich den Stein nicht zu bestimmen vermochte. »Die sehen ziemlich alt aus.«
»Das sind sie auch, Madonna. Es sind die Häupter von Caesar Augustus und General Agrippa, erschaffen im alten Rom.«
Ich streckte einen Finger aus, um die Büste des Augustus zu berühren. Es war etwas Alltägliches, den Ponte Vecchio zu überqueren, der vor so langer Zeit von römischen Arbeitern errichtet wurde - aber ein Kunstwerk zu betrachten, erschaffen nach dem Gesicht eines Mannes, der schon über tausend Jahre tot war, erfüllte mich mit Ehrfurcht. Mein Begleiter ließ meinen Arm los, sodass ich das Werk genauer inspizieren konnte.
»Lorenzo ist ganz vernarrt in Antiquitäten«, sagte er.
»Dieses Haus enthält die größte Sammlung moderner wie antiker Kunst auf der
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