Kaltduscher
Amelie schon seit dem ersten Blickkontakt irgendwie toll fand, hätte nun eigentlich schleunigst das große Glück beginnen sollen. Tat es aber nicht. Ich schwöre, ich weiß nicht, was sie für mich empfindet. Und fürchte, ich werde es auch nie herausfinden. Selbst wenn man uns frontal nackt aneinanderfesseln würde, würden wir nur schüchtern lächeln und weiter über das Projekt »Neue Freundin für Tobi« reden.
Woran es bei mir hapert, weiß ich genau. Da läuft so ein archaisches Beißhemmungs-Programm in meinem Hirn ab: Du kannst doch nicht mit der Exfreundin deines Freundes… – Wieso nicht? – Na hör mal, das ist doch einfach zu billig, und außerdem hast du keine Ahnung, ob du seine Gefühle verletzt. – Hmmm… – Und du weißt sowieso nicht, ob sie überhaupt will. Willst du wirklich ein Riesendesaster für nix und wieder nix riskieren? – Ja, schon gut.
Was bei Amelie ist – wie gesagt, keine Ahnung. Bei ihr werden alle Gefühle von ihrem grenzenlosen Fürsorgetrieb verdeckt. Willst du ein Date mit Amelie? Verstauch dir den Fuß, krieg Grippe, hab Depressionen – funktioniert alles. Willst du Amelies Herz? Frag jemand anderen.
Vielleicht sollte ich mal allen Mut zusammennehmen und mit Tobi reden? Aber nicht heute…
Während wir weitergehen, hole ich mein Handy raus und wähle.
»Hallo, Caio. Du weißt, was es bedeutet, einen Sportler zu stören?«
»Tschuldigung, aber ganz wichtige Frage: Könntest du dir vielleicht einen Fusselbart wachsen lassen?«
»Ihh! Wieso das denn?«
»Beim Fernsehen brauchen sie im Moment jede Menge junge Männer mit Fusselbart. Der Modetrend ist inzwischen bis ins letzte Dorf durchgesickert. So wie Piercing in den 90ern. Wenn du dir einen zulegst, würde das meine Arbeit immens erleichtern. Und ich hab hier eine brandaktuelle Anfrage…«
»Vergiss es.«
»Du könntest ihn wachsen lassen, wir machen ein paar Fotos für meine Mappe, und dann rasierst du ihn fürs Erste wieder ab?«
»Vielleicht denk ich mal drüber nach.«
»Und euer Nachfolger für Hendriks Zimmer ist Schweizer, hab ich gehört?«
»Ja.«
»Und hat er diesen typischen Akzent?«
»Kann man wohl sagen.«
»Würd ich ja auch gern mal kennenlernen. Leute mit Schweizer Akzent hab ich noch gar keine in meiner Kartei, und die werden oft ganz dringend gebraucht.«
»Jetzt lass ihn erst mal einziehen.«
»Wie heißt er denn?«
»Reto Zimmerli.«
»Zimmerli. Okay, hab schon mal eine Karte angelegt. Du, ich muss Schluss machen. Kundengespräch auf der anderen Leitung. Hendriks Auszugsparty ist morgen, oder?«
»Genau.«
»Also, bis dann.«
Trotz aller Hektik strahlt Caio immer eine beneidenswerte Ruhe aus. Weiß auch nicht, wie er das macht. Vielleicht angeboren. Sein Vater ist Baumzüchter.
Ich bin auch gespannt, was mit Reto zu reißen sein wird. Er ist so die Sorte Schweizer, der die Schweiz satt hat, weil zu sauber, zu konservativ, zu perfekt und so weiter. Sagte er zumindest im Vorstellungsgespräch. Wir waren erst mal misstrauisch. In einem Vorstellungsgespräch kann man ja viel behaupten, um seine potentiellen Mitbewohner zu beeindrucken. Dann hat er aber davon erzählt, dass man ihn in der Schweiz in Untersuchungshaft gesteckt hat, weil er die Gewinne aus seinem Marihuana-Handel versteuern wollte, und das fanden wir so überzeugend, dass er am Ende das Rennen gegen den Kunststudenten aus Braunschweig, den Schlagzeuger aus Friedrichshain und die Travestie-Lokalgröße aus Kreuzberg gemacht hat.
An der Ecke Tucholskystraße trenne ich mich von Arne.
»Du duschst erst noch, bevor du wieder an den Rechner gehst, versprochen?«
»Geht klar. Wollte ich eh schon seit Tagen mal machen.«
»Und vergiss nicht, morgen Abend ist Hendriks Abschiedsparty.«
»Wie viel Uhr?«
»So ab zehn. Ich muss los. Tschüss, Arne.«
»Tschüss, Krach.«
Ja, man nennt mich Krach. Ein schöner Name eigentlich. Zeigt sofort, dass man mit bürgerlichen Werten und Lebensentwürfen nichts am Hut hat. Und der Bezug zu meinem Originalnamen Oliver Krachowitzer ist auch da. Trotzdem ist Krach einfach mal die Silbe, die am wenigsten mit meinem Leben zu tun hat. Ich höre weder Punk noch Techno, ich hasse es, wenn Kinder im Hausflur schreien, ich hasse es, wenn aus dem vierten Stock geworfene Klaviere im Hof zerschellen und, um auf unsere Wohnsituation zurückzukommen, ich hasse alle Kreissägen, Schlagbohrer und Presslufthämmer. Alle anderen Silben meines Namens würden besser zu mir passen. O, Li, Ver,
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