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Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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hat, den Angriff mit einem Gegenlaut.
    »HNNJAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAARGHHH!!!«
    Das hat Folgen. Der zuckende Stahlmeißel verschwindet wieder in der Wand, und ich höre durch das Loch eine kernige Stimme mit osteuropäischem Akzent.
    »Chef, da wohnt noch Leut!«

Drecksack
     
    Unsere Küche sieht ebenfalls ganz normal aus für eine 5er-Männer-WG in einem schwer sanierungsbedürftigen Altbau in Berlin-Mitte. Keine Hängeschränke, keine Spülmaschine, dafür sind wir zu cool. Wir bewahren unser bisschen Geschirr in einem alten Werkstattregal auf, warmes Wasser kommt aus einem DDR-Boiler, der zuverlässig ein Mal pro Monat kaputtgeht, und in der Ecke steht ein großer Fernseher, den wir mit den Zehen bedienen, seit sich Tobi vor einem Jahr auf die Fernbedienung gesetzt hat. Am Kopfende unseres Küchentischs hängt eine penibel auf dem neuesten Stand gehaltene Bundesliga-Stecktabelle und darüber ein Poster von Rambo, der gerade mit seinem Maschinengewehr in den Dschungel ballert und dazu ein Gesicht macht, als wäre er drei Tage nicht mehr auf dem Klo gewesen.
    Über Rambos Kopf hat Tobi den aus einem ZDF-Werbeplakat ausgeschnittenen Schriftzug »Melodien für Millionen« hingeklebt. Gonzo sagt immer, wir sollten es abhängen, weil sich der Gag inzwischen abgenutzt hat. Aber Gonzo findet auch, dass wir die Küchenwände mit einem Hauch von Azurblau abtönen, die Fußleisten als Komplementärkontrast Hummerrot streichen und beim Deckenstuck Petrol als Akzentfarbe nehmen sollten.
    Tobis Exfreundin Amelie findet dagegen, dass hier erst mal eine Grundreinigung fällig wäre und dass Gonzo seinen Kinnbart abrasieren soll. Da hat sie im Prinzip auch recht, aber was die Grundreinigung betrifft, sollte man sich auch nicht unnötig Mühe machen. Wenn wir irgendwann sowieso die Küche neu streichen, müssen wir ja eh alles ausräumen, und dann kann man das mit der Grundreinigung im gleichen Aufwasch erledigen. Das muss man auch mal im Großen und Ganzen sehen.
    Jedenfalls ist unsere Küche wirklich ganz normal. Wenn man von der Profi-Bierausschank-Anlage absieht, die Hendrik neben unserer Spüle installiert hat, nachdem unser illegaler Club im Keller letztes Jahr vom Bezirksamt geschlossen worden war.
    »Alter Schwede, der Wohlgemuth.«
    »Der meints jetzt wirklich ernst.«
    »Tja, der gibts uns jetzt mit der ganz groben Kelle.«
    Ach ja, mein Beinahe-Tod von gestern früh. Fast schon wieder vergessen. Wir haben uns doch recht schnell an das GROOOOOOOOOOOOH!!! der Presslufthämmer gewöhnt.
    »Hm, ja, der wills jetzt echt wissen, der Wohlgemuth.«
    »So siehts aus. Kann ich das letzte Brötchen haben?«
    »Von mir aus, Tobi.«
    Herr Wohlgemuth ist unser Vermieter. Er hat vor zwei Jahren das Haus von den greisen Alteigentümern gekauft und sich in den Kopf gesetzt, damit reich zu werden. Das ist vom Ansatz her durchaus nachvollziehbar, weil charmanter Altbau mit zwar maroder, aber immerhin Stuckfassade in bester Lage in Berlin-Mitte, umzingelt von Werbeagenturen, Designläden, Galerien, Promi-Wohnungen und so weiter. Und unsere gesamte 5er-Männer-WG, einschließlich aller Exmitbewohner und Angehörigen, würde Herrn Wohlgemuth das Reichwerden ja auch von Herzen gönnen. Das Problem ist aber, er glaubt, dass er nur reich werden kann, wenn wir hier ausziehen. Und das Problem verschärft sich noch einmal dramatisch durch die Tatsache, dass Herr Wohlgemuth komplett wahnsinnig ist. Einfach geduldig darauf zu warten, dass wir irgendwann wegsterben oder uns, dank sozialen Aufstiegs, was Besseres suchen als eine Wohnung mit Außenwand-Gasheizungen, undichten Fenstern und versifftem DDR-Badezimmer, liegt ihm nicht. Es muss unbedingt der radikale Schnitt sein.
    Noch bevor er den Kaufvertrag unterschrieben hatte, geisterte er schon hier durchs Treppenhaus und erzählte jedem Mieter, der es hören wollte, was für eine Bauhölle er rund um uns herum bald entfachen würde. Und nachdem die ersten Feiglinge aus dem Seitenflügel ausgezogen waren, ließ er in den leer gewordenen Wohnungen Taten folgen. Solange die Presslufthammerorgie nur im Seitenflügel wütete, war das noch gut auszuhalten, aber irgendwie schaffte er es nach und nach, auch immer mehr Mieter aus dem Vorderhaus zu vergraulen.
    Und letzte Woche ist blöderweise auch noch unser Stockwerksnachbar Heinz, ein überaus sympathischer Bildhauerfreak, ausgezogen, nachdem ihn Herr Wohlgemuth mit einer juristisch äußerst fragwürdigen 128-Prozent-Mieterhöhung erschreckt hat.

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