Kaltduscher
Tobi. Hat Amelie neulich auch noch mal gesagt.«
»Dann richte deiner Freundin aus, dass ich meinen Konsum auf durchschnittlich eine Tüte pro Tag zurückgefahren habe, Gonzo. Ausnahmesituationen wie Fußballspiele natürlich nicht mitgerechnet.«
Amelie und Julia sind heute ins Kino gegangen. Gonzo und Amelie sind ansonsten ein glückliches Lasagne-Paar. Und Julia und ich, nun ja, neulich haben wir Hausverbot bei Peek&Cloppenburg bekommen, aber das sind halt Spießer.
»Also mir gefällt ja dieser Spieler mit der Nummer 3 am besten. Schaut nur, diese klaren Augen. Wie heißt der Schöne noch mal?«
»Maldini.«
»Entzückend.«
»Unglaublirch, dass der mit 38 Jahren noch in der Champions League mitchralten kann.«
Reto spricht immer noch genauso wie am Tag, an dem er hier angekommen ist. Schade, dass er morgen ausziehen wird. Seine Stimme und seine ruhige Art werden mir fehlen, ganz zu schweigen von seiner atemberaubenden Fähigkeit, klar zu denken. Aber es hilft nichts. Seine Freundin, die, wie sich zu unserer Überraschung herausgestellt hat, keine von den Damen ist, die uns letztes Jahr fast um den Verstand gebracht haben, hat die ersehnte Flötistinnen-Stelle bei den Berliner Philharmonikern bekommen und zieht endlich auch nach Berlin. Die beiden haben eine Dachgeschosswohnung in der Fehrbelliner Straße für sich klargemacht. Sie können es sich leisten. Retos Mannequin-Agentur, die er letztes Jahr gegründet hat, ist durchgestartet wie nichts. Madeleine, Fiona und all die anderen, die sich hier dauernd die Klinke in die Hand gegeben haben, um ihre Verträge mit ihm abzuschließen, sind heute über Monate hinweg ausgebucht. Tja, »irch versurche in der Modebranrche Fuß zu fassen«. Ein Mann, ein Wort…
Tor!
Freistoß Pirlo, Inzaghi kriegt ihn an die Brust und fälscht ihn unhaltbar für Reina im Liverpooler Tor ab. Kein Handspiel, kein Abseits, kein Stürmerfoul, nichts. Das Tor geht völlig in Ordnung. Wir hängen fassungslos in den Sitzen. 1:0 für Berlusconis AC Mailand ist schon schlimm genug. Aber dann auch noch Inzaghi. War ja schon eine Überraschung, dass sie den Jammer-Opa überhaupt noch mal in die Startelf gestellt haben…
Na ja, jedenfalls hat Reto neulich gefragt, ob ich bei ihm im Büro anfangen möchte. Aber ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Erstens gibt das garantiert Streit mit Julia, und außerdem steuern meine beruflichen Pläne gerade auch in eine ganz andere Richtung. Einen Tag nach der verpassten Aufnahmeprüfung an der Ernst Busch hat Gonzo meinen Zeichenblock gefunden. Am Anfang habe ich geglaubt, er will mich verarschen, als er mir gesagt hat, dass er niemanden kennt, der so ausdrucksvoll Menschen zeichnen kann wie ich. Aber bei Kunst macht er keine Witze. Er hat mich überzeugt, dass ich mich an der Universität der Künste bewerbe, und seitdem arbeite ich an meiner Mappe.
Lustig war natürlich schon, dass eine Woche später ein Schreiben von der Ernst Busch kam, dass ich die erste Runde der Aufnahmeprüfung bestanden hätte. Es war ein Formbrief, aber irgendjemand hatte am unteren Rand handschriftlich hinzugefügt, dass sie noch nie eine so überzeugende Darbietung des Godot gesehen hätten. Witzbolde. Ich habe die zweite Runde sausen lassen.
Halbzeit.
Das wird hart für Liverpool. Ob 45 Minuten reichen, um die Milan-Betonabwehr zu knacken? Wobei, Maldini ist ja nicht mehr der Schnellste…
Jetzt der Werbeblock. Oh nein. Nicht schon wieder. Vollbart-Lukas und die Jungs johlen. Gonzo versucht, den Beamer auszumachen, wird aber mit Gewalt daran gehindert.
»Hey, das ist unsere Küche, und wir bestimmen, wann der Beamer ausgeschaltet wird, Lukas…«
»Pssssst.«
Nichts zu machen. Wir müssen schon wieder den grässlichen Pinklbräu-Spot sehen. Immer das Gleiche: Tobi, Gonzo, Francesco, Reto und ich sitzen mit angeödeten Gesichtern und vor der Brust verschränkten Armen in unserer Küche herum. Dann Sternenstaub und – bing! – auf einmal liegt Gisele Bündchen auf unserem Küchentisch. Sie hat ein abartiges bauchfreies bayerisches Dirndl an und nippt lasziv an einer Pinklbräu-Easy-Flasche. Wir geraten mit einem Schlag in Partystimmung, lachen, strahlen und haben wie von Zauberhand plötzlich auch alle Pinklbräu-Flaschen in der Hand. Die Kamera fährt um uns herum. Einige Details, die Elvin und Adrian besonders wichtig fanden, zum Beispiel die bunten Plastikeimer in unserem Regal und meine verschieden langen Hosenbeine, kommen ins Bild, und auf der
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