Kalte Berechnung - Eine Rachegeschichte
auskosten.
Dein Vorschlag bestand darin, mich mit Dir zu treffen, hier, um Dich haben zu lassen, wovon Du noch nicht einmal träumen solltest. Ihre Jungfräulichkeit war der Preis, den meine Tochter an Dich bezahlen sollte, um sich davor zu schützen, von Dir bloßgestellt und in der Öffentlichkeit gedemütigt zu werden. Und dann hast Du die kleine Bitte geäußert, die mir wirklich die Nackenhaare sträubte. So harmlos erscheinend im Vergleich zum Rest Deiner Forderung und doch viel schlimmer in ihrer Bedeutung, in ihrer Konsequenz. Die Kleinigkeit war es, mit der Du mir verraten hast, wer Du bist. Niemand kennt Dein Gesicht oder Deinen Namen, dennoch bist Du prominent. Deine Taten haben Dich bekannt gemacht.
Fünf
Die Mordserie an jungen Mädchen hatte vor einem Jahr die Schlagzeilen dominiert. Sechs hatte man gefunden, im Alter zwischen zwölf und sechzehn Jahren, nackt, erst vergewaltigt, dann stranguliert, vielleicht auch andersherum. Verbrechen, begangen mit unvorstellbarer Grausamkeit. Der Täter entsorgte die Leichen stets in Gewässern. Vier hatte man in einem Brandenburger See gefunden, nachdem die Leichengase für genug Auftrieb gesorgt hatten, um die nur ungenügend beschwerten Körper schwimmfähig zu machen. Zwei weitere wurden in einer Mulde gefunden, unweit der Stelle, wo der Fluss in die Elbe mündet, angeschwemmt durch das jährliche Hochwasser. Ob es noch mehr Leichen gab wusste niemand, auch wenn Taucher die Fundorte weiträumig abgesucht hatten. Bei der Suche war die Polizei dem Täter kein Stück näher gekommen und der öffentliche Unmut sowie der Druck auf die ermittelnden Beamten waren mit der Zahl der Opfer gewachsen. Die Medien waren monatelang in Aufruhr; die Bilder der Opfer schielten anklagend von den Titelseiten hinüber zu den lebendigen Nackten auf Seite Drei. Am weitesten ging damals, wie so oft, die BILD, die nicht davor zurückschreckte, ein Foto des ältesten Opfers abzudrucken, aufgenommen bei einer Faschingsfeier in der Schule. Es zeigte sie, grell geschminkt und in einer Aufmachung, bei der man unwillkürlich an eine Hure am Straßenrand dachte. Reißerisch prangte die Überschrift Lolita-Mörder schlägt wieder zu – Hat sie ihr Schicksal herausgefordert? über dem frivol wirkenden Bild. Nicht nur ich fragte mich damals, wie ihre Eltern es wohl verkrafteten, dass man auf solch geschmacklose Art über ihr grausames Los berichtete.
Doch dann war die Mordserie abgerissen, als habe der Täter sich zur Ruhe gesetzt, und plötzlich war das Schuldendrama Griechenlands mehr Schlagzeilen wert als das Leid der sechs Opfer und ihrer Familien. Die neuen Bundesländer waren weit genug entfernt, um sich in trügerischer Sicherheit zu wiegen, zumindest von meinem Wohnort aus betrachtet. Doch es war dieses eine Detail gewesen, dieser eine Wunsch von Dir, der mich erstarren ließ: Die Opfer hatten sich alle, kurz vor ihrem gewaltsamen Ende, die Haare gefärbt, in einem schreienden Rot. Darin sah man bisher, neben dem Modus Operandi und dem jugendlichen Alter, die einzige Gemeinsamkeit in allen bisherigen Fällen, die man dem „Lolita-Mörder“ zuordnete. Eine andere Verbindung zwischen den Toten schien es nicht zu geben. Sie besuchten weder dieselbe Schule, noch den gleichen Verein, lebten nicht nah beieinander und schienen völlig unterschiedliche Interessen zu haben. Wie sie in Kontakt mit dem Täter kamen war unklar.
Als Du von mir verlangt hast, meine Haare vor unserem Treffen rot zu färben, mir explizit sagtest „Nimm Pure Red , kein anderes Rot!“, keimte in mir der erschreckende Verdacht. Eine Vermutung, die ich so wenig wahrhaben wollte, wie manche Ehefrau den Verdacht, dass ihr Gatte sie betrügt.
Nachdem Du meine Haarfarbe bestimmt hattest, folgten Deine weiteren Anweisungen: Als ob Du mir eine Freude machen wolltest, hast Du vorgeschlagen, wir sollten das Konzert meiner Lieblingsband besuchen und uns in Ferropolis treffen. Da wusste ich, wer Du bist. So sehr ich mir einen Irrtum gewünscht hätte, die roten Haare, das Gewässer, welches den Veranstaltungsort umschließt, Deine pädophilen Neigungen, all diese Indizien auf einmal betrachtet, ließen für mich nur einen einzigen Schluss zu. Diese Erkenntnis versetzte mir einen Schock. Erneut wurde mir übel und vor Aufregung begann ich unkontrolliert zu zittern. Von irrationaler Panik beherrscht, schlug ich den Laptop zu, rannte in den Flur und riss den Stecker aus dem Modem, als ob ich Dich damit aussperren könnte. Ich
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