Kalte Schulter - heisse Kuesse
vorgestellt.“
Gabe schaute sie an, völlig gelassen und entspannt. „Du meinst, körperliche Arbeit hättest du mir nicht zugetraut?“
„Genau.“
„Vorurteile, Chass?“ Okay, also hatte er den gestrigen Abend nicht vergessen. Aber er sagte es mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Vielleicht versuchte er, genau wie sie, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und nach vorn zu schauen.
„Offensichtlich.“
„Ehrlich gesagt“, fuhr er lächelnd fort, „hatte ich auch nicht damit gerechnet. Aber der Anwalt, mit dem ich verabredet war, kommt erst heute Nachmittag, und da heute Morgen einer von Daves Leuten gefehlt hat, bin ich eingesprungen.“ Er zuckte mit den Schultern, die sich unter dem weißen T-Shirt spannten.
„Kennst du dich damit aus? Ich meine, kannst du mit einem Hammer umgehen?“
„Einigermaßen. Ich habe früher in den Ferien für eine Wohltätigkeitsorganisation auf Baustellen geholfen.“
Und plötzlich war es gar nicht mehr so schwer, sich das vorzustellen. Gabe gehörte zu den Menschen, die alles schafften, was sie sich vornahmen. Noch ein Unterschied zwischen den Brüdern. „Tom konnte so etwas nicht.“
„Nein, das war nicht sein Ding.“
Sie lachte. „Stimmt. Wenn in der Wohnung etwas getan werden musste, war seine erste und einzige Reaktion, einen Handwerker zu rufen. Diverse Male habe ich ihn davon abgehalten, weil es etwas war, was ich selbst machen konnte.“
„Du?“
„Wer hat jetzt Vorurteile?“
„Wir müssen wirklich noch einmal von vorn anfangen, oder?“
„Vielleicht sollten wir uns einfach nur ein wenig unvoreingenommener verhalten“, schlug sie vor.
„Vielleicht. Ehrlich gesagt, war die Arbeit auf den Baustellen für mich die beste Möglichkeit, von zu Hause wegzukommen.“
Gab Gabe damit zu, dass er das Familienleben genauso erdrückend gefunden hatte wie Tom? „Tom ist lieber auf Partys gegangen, soweit ich weiß.“ Sie konnte sich gut vorstellen, wie der lebenslustige Tom seine Sommerferien in einem einzigen Partyrausch verbracht hatte.
„Stimmt“, entgegnete Gabe amüsiert, als er die Tür zum Restaurant öffnete und darauf wartete, dass Chastity hineinging.
Sie lächelte ihn an, während sie an Tom dachte. „Man musste ihn einfach lieben.“ Sofort bedauerte sie ihre Worte, denn Gabes Lächeln verschwand. Sie blieb stehen und überlegte, dass Gabe ganz anders war. Es war auch nicht einfach, ihn zu mögen. Aber gab es nicht ein Sprichwort, das besagte, dass die wirklich wichtigen Dinge nicht leicht zu haben waren?
Er stand wartend da. Also holte sie tief Luft und wappnete sich, als sie dicht an ihm vorbeiging und dabei fast seine breite Brust streifte.
Das Mittagessen verlief schweigend, bis Chastity schließlich die Gabel zur Seite legte. „Was wäre, wenn es nicht an mir gelegen hätte?“
„Was meinst du?“
„Was wäre, wenn nicht ich es gewesen wäre, die einen Keil zwischen eure Familie getrieben hätte? Du hast doch gerade zugegeben, dass auch du gearbeitet hast, um deiner Familie zu entkommen.“
Gabe blickte sie aufmerksam an. „Willst du damit sagen, dass es nicht an dir gelegen hat?“
Sie hätte das Thema nicht anschneiden sollen, doch da sie es nun einmal getan hatte, fuhr sie fort. „Ich will sagen, dass es nicht nur unfair, sondern auch Augenwischerei ist, wenn ihr mir allein die Schuld gebt.“ Tom hatte seine Familie gemieden. Und ja, er hatte Chastity als Entschuldigung vorgeschoben, anfangs ohne ihr Wissen. Doch selbst als sie davon Wind bekommen hatte, hatte es ihr nicht besonders viel ausgemacht.
„Ihr seid erwachsen und könnt eure eigenen Entscheidungen treffen. Es ist nur so viel einfacher, jemand anderem die Schuld zu geben. Tom könnt ihr nicht mehr verantwortlich machen, weil er tot ist, euch selbst wollt ihr die Schuld nicht geben, also muss ich für alles herhalten.“
„Kein Wunder. Immer wenn ihr zu einem Familienessen eingeladen wart, erfand Tom irgendwelche Entschuldigungen, bis es eindeutig war, dass es sich nur um eine Ausrede handelte.“
„Als wenn ihr euch irgendwann einmal wirklich Mühe gegeben hättet. Meistens waren die Einladungen nur an Tom gerichtet, was an sich schon eine Beleidigung war. Willst du ihm vorwerfen, dass er zu seiner Frau gestanden hat? Und wann hast du persönlich einmal versucht, dich mit Tom außerhalb des Büros zu treffen und zu verstehen, was ihn umtrieb?“
„Was gab es da zu verstehen? Er hatte einen tollen Job, ein wunderbares Leben. Und er hatte
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