Kalte Schulter, Heißes Herz
Lächeln fiel ihr unendlich schwer.
„Liebling.“ Ihr Vater schloss seine Finger um ihr Handgelenk. „Ich würde dir gern jemanden vorstellen. Leon Maranz. Und dies ist meine Tochter Flavia.“
Sie hatte alle Mühe, Haltung zu wahren. Schließlich gab es doch überhaupt keinen Grund, sich durch diese Begegnung verunsichern zu lassen. Oder?
Die Worte kamen zäh aus ihrem Mund. „Wie geht es Ihnen, Mr Maranz?“ Es war ihr unangenehm, sich so fehl am Platz zu fühlen. Unter anderen Umständen …
Es war einfach zu schnell gegangen. Sie hätte etwas Zeit gebraucht, sich diesem eindrucksvollen Fremden zu nähern, sich einen zweiten Eindruck zu verschaffen und dann irgendwann ein privates Gespräch zu beginnen. Aber jetzt war sie blitzartig mit ihm konfrontiert und hatte sich dabei überhaupt nicht im Griff.
Blinzelnd betrachtete sie das makellose weiße Hemd, das über seinen Muskeln leicht spannte, und wich seinen aufmerksamen Augen aus.
„Miss Lassiter.“
In seiner ruhigen, angenehmen Stimme entdeckte sie einen Akzent, den sie allerdings nicht einzuordnen wusste. Seine Haut war tief gebräunt und verlieh ihm zusätzlich ein exotisches Aussehen, genau wie die lackschwarzen Haare.
Ihr war es zu viel, sie musste weg. Obwohl ihr bewusst war, wie unhöflich sie sich verhielt, ergriff sie die Flucht. „Ich muss nach dem Cateringservice sehen“, murmelte Flavia. „Bitte entschuldigen Sie mich!“ Sie nickte kurz. „Mr Maranz.“
Im Weggehen bemerkte sie die finstere Miene ihres Vaters, aber es half nichts. Sie musste ihrem Instinkt folgen, und der riet ihr, schleunigst auf Abstand zu gehen. Erst im Nebenzimmer atmete sie wieder auf, doch das Herz schlug ihr immer noch bis zum Hals.
Wieso reagiere ich so heftig auf diesen Mann? wunderte sich Flavia. Immerhin hatte sie schon oft mächtige Persönlichkeiten im Umkreis ihres alten Herrn kennengelernt, also warum ging ihr ausgerechnet dieser so unter die Haut? Lag es an der intensiven Art, wie sie sich angesehen hatten, bevor man sie einander vorstellte?
Immer noch fühlten sich ihre Beine taub an, während sie am Buffet entlangspazierte und vorgab, die servierten Platten zu inspizieren. Hier und da nahm sie eine Gabel zur Hand und schob etwas Obstdekoration zusammen oder arrangierte den Aufschnitt neu.
Mr Maranz hatte das gewisse Etwas, auch wenn nicht wirklich greifbar war, worum es sich dabei eigentlich handelte. Flavia sog zischend die Luft ein und schüttelte unmerklich den Kopf. Ihr konnte ganz egal sein, ob er der begehrenswerteste Mann war, den sie jemals gesehen hatte. Sie würde sich niemals auf jemanden einlassen, der ihr von ihrem verhassten Vater vorgestellt worden war. Mit diesen Kerlen wollte sie nichts zu tun haben.
Außerdem bin ich sowieso nicht frei, seufzte sie innerlich und dachte dabei an ihre arme Großmutter. Die alte Dame war auf Flavia angewiesen. Sie brauchte ihre Enkelin um sich, die sie schließlich auch voller Liebe großgezogen hatte. Und Flavia würde ihre Oma um nichts in der Welt im Stich lassen!
Es war ein schweres Schicksal, denn tagtäglich nahm die Demenz Flavia mehr von der geliebten Frau weg, die ihr die Mutter ersetzt hatte. Es war herzzerreißend, diesem geistigen Verfall hilflos zusehen zu müssen in dem Wissen, was eines Tages geschehen würde … Doch bis es so weit war, wollte Flavia ihr Bestes tun, um ihrer Großmutter das Leben zu erleichtern. Auch wenn das bedeutete, vom eigenen Vater vorgeführt zu werden. Und so lange konnte sie eben nicht das normale Leben einer fünfundzwanzigjährigen Frau führen.
Deshalb war es irrelevant, welchen Einfluss der Bekannte ihres Vaters auf sie ausübte. Leon Maranz hatte nichts mit ihr zu tun – würde nie etwas mit ihr zu tun haben!
Jetzt schüttelte sie den Kopf etwas heftiger. Vor allem war es ja nicht so, als hätte sie die gleiche rätselhafte Wirkung auf ihn. Er konnte jede Frau haben und hatte Flavia vermutlich gar nicht richtig wahrgenommen. Sie musste sich schlicht zusammenreißen und ihm für den Rest des Abends aus dem Weg gehen. Basta!
„Verraten Sie mir mal, speisen Sie alle Ihre Gäste so zügig ab?“
Erschrocken zuckte sie zusammen und drehte sich um.
Leon Maranz stand nur einen Meter entfernt von ihr im ansonsten menschenleeren Zimmer. Sein Gesicht war ernst, fast furchterregend, und in Flavia schrie alles danach, den Raum sofort zu verlassen.
„Ich verstehe nicht ganz?“, antwortete sie defensiv.
Eine Höflichkeitsfloskel, nur leider etwas
Weitere Kostenlose Bücher