Kalte Schulter, Heißes Herz
anfangen konnte.
Als sie das nächste Krankenzimmer betreten wollte, wurde sie von einer anderen Pflegerin aufgehalten. „Ach, da bist du ja. Da hat jemand für dich angerufen.“
Überrascht blieb Flavia stehen. Wer konnte das sein? Außer ihrem Anwalt wusste niemand, wo sie sich aufhielt. Falls ihr Vater versuchen sollte, Kontakt aufzunehmen, würde er damit keinen Erfolg haben. Für sie war er gestorben. Er würde niemals wieder die Gelegenheit bekommen, ihr zu schaden.
Wie es aussah, hatte er bisher auch noch nicht versucht, sie aufzuspüren. Und Flavia hatte nicht die leiseste Ahnung, wo er steckte oder wie es ihm ging.
„Wurde eine Nachricht für mich hinterlassen?“, fragte sie.
Ihre Kollegin Maria schüttelte den Kopf. „Man wollte nur wissen, ob du hier arbeitest.“
Flavia wurde stocksteif. „Und das hast du bestätigt?“
„Na sicher. Hätte ich das nicht tun sollen?“
Flavia zwang sich zu einem Lächeln. „Nein, schon gut. Keine Sorge.“ Dann runzelte sie nachdenklich die Stirn. Wer, wenn nicht ihr Vater, sollte sie ausfindig machen wollen?
Ihr Herz klopfte schneller. Leon konnte es kaum sein? Er hätte doch keinen Grund, es sich anders zu überlegen, oder doch?
Nein, wir werden uns nicht wiedersehen, sagte sich Flavia mit schwerem Herzen. Das musste sie akzeptieren. Sie musste sich zwingen , es zu akzeptieren.
Es ist vorbei , für immer vorbei. Ich habe mich ihm gegenüber schäbig verhalten, und das kann ich nie wiedergutmachen. Ich habe mich praktisch auf Drängen meines Vaters prostituiert! warf sie sich unerbittlich vor. Die Gründe dafür spielen keine Rolle, ich habe es zugelassen! Demnach baut unsere ganze gemeinsame Zeit auf einer berechnenden Lüge auf, und für meine Feigheit muss er mich ja hassen!
Wie sehr ein gebrochenes Herz einem zu schaffen machen konnte, hatte Flavia früher nicht einmal geahnt. Sie liebte einen Mann, der allen Grund hatte, sie zu verachten. Damit musste sie zukünftig leben. Irgendwann würde diese Liebe versiegen – zumindest musste sie darauf hoffen.
Aber wenigstens will ich mich noch auf meine Weise bei Leon entschuldigen, dachte sie, und es dann dabei belassen …
Die Stunden vergingen bei der Arbeit wie im Flug, weil es immer etwas zu tun gab. Flavia wusste, dass dies zwar ein besonders gutes Pflegeheim war, ihre Großmutter es aber dennoch gehasst hätte. Für sie hatte es nur Harford gegeben …
„Flavia!“
Ihre Chefin winkte sie ungeduldig zu sich heran. „Sie haben Besuch. Während der Arbeitszeit ist das normalerweise nicht erlaubt, aber in diesem Fall will ich mal eine Ausnahme machen.“
Bevor sie antworten konnte, schob ihre resolute Vorgesetzte sie schon in das Dienstzimmer, in dem Flavia zum letzten Mal vor vier Monaten bei ihrem Vorstellungsgespräch gewesen war.
Noch in der Tür blieb sie wie angewurzelt stehen, denn direkt vor ihr stand … Leon.
Die unterschiedlichsten Gefühle stürzten auf Flavia ein, und es fiel ihr schwer, einen Fuß in den Raum zu setzen.
„Ich habe deinen Anwalt gezwungen, mir deinen Aufenthaltsort zu verraten“, sagte er anstelle einer Begrüßung.
„Warum?“
„Weil er ihn mir freiwillig nicht nennen wollte“, erwiderte Leon gepresst.
„Nein, ich meinte, warum wolltest du ihn wissen?“ Flavia schüttelte den Kopf.
„Das fragst du noch? Dachtest du, ich will nicht noch mal mit dir reden, nachdem dein Anwalt mich besucht hat?“
Mit aller Willenskraft versuchte Flavia, Ordnung in ihr Gedankenchaos zu bringen, aber das war vergebene Liebesmüh. Längst hatte ihr Körper die Regie übernommen: Der Puls raste, und Arme und Beine fühlten sich wie Gummi an. Dafür weckte Leons Nähe vertraute Sehnsüchte in ihr, Sehnsüchte, mit denen sie jeden Abend einschlief und jeden Morgen wieder aufwachte.
„Du hast mir Harford überschrieben.“
Seinem fassungslosen Ausruf, der sich wie ein Vorwurf anhörte, folgte lastendes Schweigen. Ein Schweigen, das Flavia nicht brechen konnte. Ihr fehlten einfach die Worte.
„Warum hast du das getan?“ Leon wurde immer lauter und riss sie damit aus ihrer Versteinerung.
Flavia rang nach Atem und fand endlich ihre Sprache wieder. „Ich musste es tun! Wie hätte ich sonst wiedergutmachen sollen, was ich angerichtet habe … dich zu hintergehen und auszunutzen … Mein Benehmen ist gar nicht zu entschuldigen. Das weiß ich ja. Und es tut mir alles so leid. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr.“ Mittlerweile redete sie wie ein Wasserfall.
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