Kalte Schulter, Heißes Herz
Grinsen verschwand urplötzlich aus Lassiters aufgedunsenem Gesicht. „Leider ist der Familie irgendwann das Geld ausgegangen“, bemerkte er kopfschüttelnd. „Deshalb hat sich Flavias Mutter auch an mich herangeschmissen, um ganz ehrlich zu sein. Immerhin bin ich ein gemachter Mann und konnte finanziell aushelfen. Das tue ich heute noch. Über die Jahre hat mich das ein Vermögen gekostet, aber Flavia hängt an dem Haus. Sie würde alles tun, um es zu halten.“ Er verstummte kurz. „Wirklich alles!“
Dann kratzte er sich am Hinterkopf und grinste breit. „Ist ein hübsches Ding, was? Eine richtige Schönheit. Hab sofort gesehen, wie gut sie Ihnen gefällt. Und es freut mich, dass Sie beide zusammen sind, obwohl die Kleine am Anfang so … kapriziös war. Als Vater möchte man natürlich auch nicht schlecht von seinem eigenen Kind reden“, murmelte er und lachte leise. „Ihre Mutter war genauso schön und entschlossen wie Flavia. Hat immer bekommen, was sie wollte. Sie wusste, wie man seinen Willen kriegt. Können süß wie Honig sein, diese Frauen, solange sie etwas Bestimmtes im Sinn haben. Ich war ja nie besonders gut aussehend, aber immerhin hatte ich Geld. Und ich habe Flavias Mutter keine Vorhaltungen gemacht, weil sie ihr Elternhaus auf die einzige Weise retten wollte, die ihr möglich war. Das ist doch nur allzu verständlich.“
Leon blieb stumm, und Lassiter seufzte.
„Als sie sich für mich entschied, weil ich ihrer Familie aus der Patsche helfen konnte … Tja, sie war einfach unwiderstehlich. Nachdem sie viel zu jung starb, habe ich absolut alles für unsere gemeinsame Tochter getan. Kein Wunder also, wenn Flavia glaubt, immer ihren Kopf durchsetzen zu können. Das ist meine Schuld. Sie haben ja selbst erlebt, wie launisch sie werden kann. Aber sie ist halt ein smartes Mädel und hat herausgefunden, wie es wirtschaftlich um mich steht.“ Der Alte zuckte die Achseln. „Wird die erleichtert sein, dass Sie sich ihres Elternhauses annehmen. Sind Sie schon dort gewesen? Na ja, wo wir jetzt keine Geschäfte mehr zusammen machen, werden dahin gehend die Karten wohl neu gemischt. Würde mich nicht überraschen, muss ich leider sagen. Falls Sie mal hinfahren, verstehen Sie bestimmt, warum Flavia alles dafür tut, damit ich diesen teuren Bunker weiter finanzieren kann.“
Keuchend erhob er sich. „Dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Wir haben schließlich beide viel zu tun. Würde mich freuen, wenn das mit Ihnen und Flavia was werden sollte.“
Er hob den Arm zum Gruß und war gleich darauf verschwunden.
Immer noch sprachlos blieb Leon an seinem Tisch sitzen und sah dem alten Lassiter nach. Dann streckte er ganz langsam eine Hand aus, um endlich bei Flavia anzurufen.
Er hatte ihr nur noch eine einzige Frage zu stellen.
11. KAPITEL
„Erde zu Erde, Asche zu Asche und Staub …“
Die Stimme des Priesters war tief und eintönig. Mit gesenktem Kopf stand Flavia am Grab, und die Tränen liefen ihr unaufhörlich übers Gesicht. Ihre Großmutter lag nun auf ewig neben ihrem geliebten Ehemann, so waren sie im Tod wieder miteinander vereint.
Die Trauer lastete unendlich schwer auf Flavia. Es war jetzt einige lange Tage und Nächte her, seit das schwache Herz ihrer Grandma aufgehört hatte zu schlagen.
Nach dem Ende der Grabrede richtete Flavia sich auf und blinzelte, um sich den Kondolenzbezeugungen der Trauergäste zu stellen, die sie später noch zum Leichenschmaus auf Harford empfangen würde. Genau so hätte es sich ihre Großmutter gewünscht. Doch Flavia fiel es schwer, all das Mitgefühl zu ertragen. Man sprach von einer gnädigen Erlösung, nicht nur für die arme alte Dame . Und dann nickten ihr die Leute aufmunternd zu und drückten Flavias Hand.
Einer hatte es sogar unumwunden ausgesprochen: „Das war doch kein Zustand hier für eine junge Frau wie dich – eingekerkert auf dem Land. Ein junges Ding wie du sollte unterwegs sein und ein eigenes Leben führen, Abenteuer bestehen, die Liebe finden.“
Dieser Kommentar ärgerte Flavia besonders und weckte erneut ihre Schuldgefühle. Sie war regelrecht besessen davon und blendete alles Übrige rigoros aus. Sogar Leon.
Nein, an ihn wollte sie jetzt am allerwenigsten denken! Nicht hier! Er gehörte zu einem anderen Teil ihres Lebens und in eine andere Welt. Er hatte momentan nichts mit ihr zu tun. Für sie kam nur in Betracht, das ganze Thema aus ihrem Bewusstsein zu streichen, weil es sie restlos überforderte. Selbst ohne ihr
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