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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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tot. Schlimme Geschichte übrigens, hat mich wirklich schockiert.«
    »Ich sitze gerade über dem Zusatzformular für den Abschlussbericht, dafür müsste ich das wissen«, erklärte Jan und fragte sich, ob diese Lüge überzeugend genug klang.
    »Ein Zusatz zum Abschlussbericht? Bei einem Todesfall? Das ist ja was ganz Neues.«
    »Tja, die Bürokratie.« Jan seufzte theatralisch.
    »Wem sagen Sie das«, sagte Dr. Hesse und seufzte ebenfalls. »Wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Das unsinnige Abholzen der Wälder könnte man leicht verhindern, indem man einfach die Hälfte unserer Formulare abschafft. Aber zu Ihrer Frage: Ja, Frau Köppler war vor
kurzem in meiner Sprechstunde. Zweimal. Wegen Magenbeschwerden.«
    »Magenbeschwerden?«
    »Ja. Sie klagte über Übelkeit und Magendruck. Daraufhin habe ich ihr homöopathische Tropfen und Kamillentee empfohlen. Man muss ja nicht immer gleich in den Chemiekasten greifen«, sagte der Arzt, und vor Jans geistigem Auge erschien nun das Bild eines grauhaarigen Wollpulliträgers mit Pferdeschwanz. »Sie sollte sich wieder bei mir melden, falls es nicht besser würde. Das hat sie dann auch getan. Daraufhin habe ich sie eingehend untersucht. Da sie nun auch über erhöhten Harndrang, Kreislaufprobleme und ein Spannungsgefühl in den Brüsten geklagt hat, hatte ich einen gewissen Verdacht.«
    »Was für einen Verdacht?«
    »Moment«, sagte Dr. Hesse, und im Hintergrund war die Stimme einer Frau zu hören, wahrscheinlich eine Arzthelferin. Hesse sprach kurz mit ihr, dann meldete er sich wieder zurück. »Hören Sie, Herr Kollege, ich muss jetzt aufhören. Deshalb in aller Kürze: Nathalie Köppler befand sich in der fünften Woche.«
    »Sie war schwanger?« Jan glaubte sich verhört zu haben. »Aber das kann doch gar nicht sein.«
    »Tja, das behauptete sie auch«, entgegnete Hesse, »aber das Testergebnis war ohne Zweifel positiv. Und nun entschuldigen Sie …«
    »Eine Frage noch!«
    »Na gut, aber machen Sie’s kurz.«
    »Wie hat Frau Köppler darauf reagiert?«
    »Das kann ich nicht genau sagen.«
    »Und warum nicht?«
    Hesse räusperte sich. »Sehen Sie, als Frau Köppler zur
zweiten Untersuchung bei mir war, habe ich eine Reihe von Tests gemacht. Stuhl, Blut, Urin, das Übliche eben. Ich wollte sichergehen, dass ihre Beschwerden nicht vielleicht doch durch einen Virus oder etwas Ähnliches verursacht wurden. Das Ergebnis habe ich ihr telefonisch mitgeteilt. Sie rief mich an. Und als ich ihr sagte, sie sei schwanger und dass es daran keinen Zweifel gäbe, hat sie einfach aufgelegt. Habe ich damit Ihre Fragen beantwortet? Meine Patienten warten.«
    Jan bedankte sich für die Auskunft, doch Dr. Hesse hatte bereits aufgelegt.
    Mit gerunzelter Stirn lehnte Jan sich in seinem Bürostuhl zurück und betrachtete das Telefon. Womöglich hatte er den Grund für Nathalie Köpplers Panik gefunden. Sie hatte sich das Leben genommen, weil sie schwanger war.
    Damit stellte sich aber eine neue Frage. Wenn Ralf nicht gelogen hatte und es keinen Sex zwischen ihm und Nathalie gegeben hatte, wer war dann der Vater?

30
    Lange Jahre hatte sich die Waldklinik durch den eigenen Anbau von Salat und Gemüse nahezu selbst versorgt, doch im Zuge allgegenwärtiger Sparmaßnahmen hatte ein Großteil der Gärtnerei aufgegeben werden müssen. Nun standen sechs der neun Gewächshäuser leer und blieben dem Verfall überlassen. Die übrigen drei dienten während des Frühjahrs und der Sommermonate arbeitstherapeutischen Zwecken. Und jetzt im November war
dies der beste Ort für ein diskretes Treffen während der Therapiepause.
    Als Jan am vereinbarten Treffpunkt ankam, saß Carla auf einem Klappstuhl, nagte lustlos an einem Müsliriegel und betrachtete geistesabwesend die leeren Beete. Ralf hockte neben ihr auf einem der Tische, an dem in Kürze wieder Patienten mit dem Binden von Weihnachtsgestecken beginnen würden. Sobald die beiden Jan sahen, standen sie auf.
    »Und? Hast du diesen Hesse erreicht?«, fragte Carla und warf den Rest ihres Riegels in eine rostige Mülltonne.
    »Ja, habe ich.«
    Jan bedachte Ralf mit einem prüfenden Blick. Er sah etwas erholter aus, auch wenn ihm die Trauer noch immer ins Gesicht geschrieben stand.
    »Nun sag schon«, drängte Carla, »was hat er gesagt?«
    »Sie war krank, nicht wahr?«, sagte Ralf mit steinernem Gesicht. »Krebs oder so etwas. Deshalb hat sie es getan.«
    Jan schüttelte den Kopf. »Nein, Ralf, Nathalie war nicht krank.« Er wechselte einen schnellen Blick

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