Kalte Stille - Kalte Stille
Schwierigkeiten, die du dir damit aufhalsen würdest.«
»Ach komm«, Ralf machte eine abfällige Handbewegung, »ich kenne genügend Kollegen, die nur mit dem Schwanz denken.«
»Und? Haben sie deswegen schon was mit ihren Patientinnen gehabt?«
Ralf sah zu Boden. »Nein, das nicht.«
»Na also.«
Ralf schob die Hände in die Hosentaschen und trat
nach der am Boden verstreuten Blumenerde. »Trotzdem muss es hier in der Klinik passiert sein.«
»Und wenn sie vergewaltigt wurde?«, gab Carla zu bedenken. »Vielleicht von einem dieser Psychos hier.«
»Höchst unwahrscheinlich«, winkte Jan ab. »Es ging ihr nach ihrem Aufenthalt deutlich besser. Stellt euch nur mal vor, wie sich eine Vergewaltigung auf jemanden mit ihrem Trauma ausgewirkt hätte. Sie wäre niemals in der Lage gewesen, das zu verschweigen, und schon gar nicht, so etwas zu verdrängen.«
»Aber sie war schwanger«, flüsterte Ralf, und sein Gesicht glänzte vor Tränen.
»Also, wenn ihr meine fachliche Meinung hören wollt«, sagte Jan, »nun, also, Nathalie litt unter der traumatischen Vorstellung, Sex und Gewalt seien unabdingbar miteinander verflochten. Durch ihre Therapie konnte sie dieses Trauma überwinden. Es ging ihr gut. Wahrscheinlich hatte sie in der Folge mit irgendjemandem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr, wie man es juristisch nennen würde.«
»Aber man bringt sich doch nicht gleich um, nur weil man schwanger ist«, fuhr Ralf ihn an. »Und wie erklärst du dir die Sache mit dem Dämon, hm? Der Dämon ist real - das waren ihre Worte!«
»Der Dämon«, sagte Jan und machte eine beschwichtigende Geste, »der Dämon war ein Symbol. Ein Symbol für ihre Ängste, aber auch für ihre Schuldgefühle. Er kam immer dann zu ihr, wenn sie sich nach etwas sehnte, vor dem sie sich andererseits fürchtete. Ich bin mir sicher, dass sie mit dem Dämon ihre Schuldgefühle gemeint hat. Dir und vor allem sich selbst gegenüber. Die Nachricht von der Schwangerschaft muss ein Schock für sie gewesen sein. Sie hatte etwas getan, das bis vor kurzem noch
das Schlimmste überhaupt für sie gewesen war, und nun würde das auch noch Folgen haben. Das hat sie nicht verkraftet. Und der Umstand, dass sie nicht mit dir, sondern nur mit Carla darüber reden wollte, scheint mir Recht zu geben. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, Ralf.«
Carla war anzusehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Die unabwendbare Tatsache, dass es nur so und nicht anders gewesen sein konnte, machte ihr sichtlich zu schaffen. Aber es schien die einzig logische Erklärung zu sein.
Ralf hatte eine Hand vors Gesicht geschlagen und rang mühsam um Fassung. Jan trat zu ihm.
»Ich glaube nicht, dass Nathalie dich betrügen wollte«, sagte er leise. »Wahrscheinlich war es nur eine einmalige Sache.«
»Nathalie hätte niemals einfach so herumgevögelt!«, schrie Ralf ihn an.
»Natürlich nicht«, entgegnete Jan ruhig. »Dennoch bleibt es dabei: Nathalie hatte Sex mit einem Mann. Sie ist davon schwanger geworden. Das sind die Fakten.«
»Verdammt, Jan, sie hat sich umgebracht!« Wieder trat Ralf mit Wucht in den Erdhaufen.
»Aber du kannst es nicht mehr rückgängig machen, Ralf. Nathalie hat die Folgen ihres Handelns nicht verkraftet.«
Carla rieb sich nachdenklich die Stirn. »Es wäre aber auch etwas anderes denkbar.«
Jan und Ralf sahen sie fragend an.
»Angenommen, Nathalie hatte Sex mit einem der Patienten«, sagte Carla. »Für sie war es nur eine einmalige Geschichte. Aber für diesen Typen war es mehr. Er stellt ihr nach und belästigt sie. Vielleicht gerade zu dem Zeitpunkt, als sie von Hesse erfährt, dass sie schwanger ist.
Dann wäre der Dämon tatsächlich eine reale Person.« Sie sah die beiden mit großen Augen an. »Vielleicht hat er sie zu Hause oder am Telefon belästigt, und deshalb hat sie nicht aufgemacht.«
»Jemand, der ihr Angst gemacht und sie in den Tod getrieben hat«, setzte Ralf Carlas Gedankengang fort.
Jan schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, ihr versteigt euch da in etwas.«
Ralf rümpfte verächtlich die Nase. »Du willst uns also nicht helfen, diesen Typen ausfindig zu machen?«
»Offen gesagt bin ich nicht davon überzeugt, dass Nathalie von diesem Typen verfolgt wurde, nur weil sie mit ihm geschlafen hat.«
»Aber die Möglichkeit besteht«, beharrte Carla. »Und wenn es so gewesen ist, dann ist Nathalie nicht allein für ihren Tod verantwortlich.«
»Und wenn du dich irrst?«, konterte Jan. »Ihr sucht jemanden, dem ihr die Schuld an
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