Kalte Stille - Kalte Stille
mit Carla, die ihn fragend ansah. »Es tut mir leid, Ralf, aber die Wahrheit ist sehr schmerzlich.«
»Nun sag schon, schlimmer kann’s für mich nicht mehr werden.«
»Ich fürchte schon.« Jan seufzte. »Sie war schwanger.«
Ralf sah ihn fassungslos an. »Schwanger?«
»Ja.«
»Das ist nicht dein Ernst?«
»Leider doch.«
Ralf wurde so weiß wie der Plastiksack mit Blumenerde, der neben ihm am Boden lag.
»Aber …« Carla schaute ratlos zwischen den beiden hin und her. »Du hast doch gesagt, ihr habt nicht miteinander …«
»Haben wir auch nicht!«, schrie Ralf. Mit geballten Fäusten starrte er Jan an. »Sie kann nicht schwanger gewesen sein. Das ist absoluter Schwachsinn!«
»Durchaus nicht«, sagte Jan ruhig. »Sämtliche Tests sind positiv ausgefallen.«
Mit einem Aufschrei trat Ralf gegen den Plastiksack. Die Hülle platzte, und dunkle Erde verteilte sich über den Steinboden.
»Ruhig, ganz ruhig.« Jan packte Ralf am Arm und drehte ihn zu sich herum, so dass sie sich in die Augen sehen konnten. »Du musst dich zusammenreißen, hörst du?«
»Ich glaub das einfach nicht«, schluchzte Ralf und befreite sich aus Jans Griff. »Es kann nicht sein, versteht ihr? Nathalie und ich haben nie miteinander geschlafen. Sie war einfach noch nicht so weit …«
Carla sah Jan an, als erhoffte sie sich von ihm eine Auflösung des Rätsels.
Eine Weile herrschte beklemmendes Schweigen in dem Gewächshaus. Nur der eisige Wind war zu hören, der durch die zersprungenen Scheiben in der Decke pfiff. Als Jan die Stille nicht mehr ertragen konnte, sprach er aus, was sie alle zu denken schienen.
»Ralf, wenn das Kind nicht von dir war, von wem könnte es dann gewesen sein?«
Ralf wandte sich ab, ging auf den Tisch zu und hieb mit der Faust darauf. In dem hohen Glasraum klang es wie ein Pistolenschuss.
»Woher soll ich das wissen? Ich kann’s ja noch nicht mal glauben.«
»Schwanger«, stieß Carla vor und schloss die Augen. »Wieso hat sie mir nichts davon erzählt?«
»Weil sie es bis zuletzt für Magenbeschwerden gehalten hat«, sagte Jan. »Und als sie dann die Wahrheit erfahren hat, muss sie einen heftigen Schock erlitten haben.«
Jan trat neben Ralf, der zornig auf die gesprungene Glasscheibe vor sich stierte, als sei sie an seinem Unglück schuld.
»Ich kann verstehen, dass das schmerzt, Ralf.«
»Klar. Ganz bestimmt kannst du das.«
Jan überging diese Bemerkung. »Gab es außer dir noch jemanden, dem Nathalie vertraut hat? Jemand, der dieses Vertrauen möglicherweise ausgenutzt hat?«
Ralf schüttelte den Kopf und stieß den Atem aus. »Nicht dass ich wüsste.«
»Nein«, bestätigte auch Carla. »Hey, ich war ihre beste Freundin. Wenn Nathalie etwas mit einem anderen Mann gehabt hätte, wäre sie bestimmt zu mir gekommen. Immerhin reden wir hier nicht von irgendeinem weiteren Bekannten. Überlegt doch mal, was das für sie bedeutet hätte.«
Ratlos zuckte Jan die Schultern. »Ich glaube nun einmal nicht an eine jungfräuliche Empfängnis …«
»Vielleicht hat sich dieser Hesse mit seinem Test getäuscht«, sagte Ralf und wandte sich ihnen wieder zu. In seinem Blick funkelte die verzweifelte Hoffnung, es möge so sein.
»Nein, Ralf«, sagte Jan. »Kein Arzt würde seiner Patientin sagen, sie sei schwanger, wenn er sich nicht absolut sicher wäre. Nathalie war in der fünften Woche, und zu diesem Zeitpunkt sind solche Tests zu neunundneunzig Prozent zuverlässig. Außerdem wurde nicht nur
ihr Urin getestet. Hätte es bei den Ergebnissen Diskrepanzen gegeben, hätte der Kollege sicherlich einen zweiten Test vorgeschlagen.«
Nachdenklich sah Carla ihn an. »Sie war in der fünften Woche, sagst du?«
»Ja, warum?«
»Vor fünf Wochen war Nathalie noch hier in der Klinik.«
Ralf sah sie vorwurfsvoll an. »Du meinst, sie hat hier etwas mit einem Patienten gehabt?«
»Denkbar wäre es, oder?«
»Sie war auf einer reinen Frauenstation.« In Ralfs Stimme schwang Wut mit.
Carla zuckte die Schultern. »Vielleicht war es jemand vom Personal, ein Pfleger oder ein Arzt?«
»Scheiße«, zischte Ralf. »Wenn ich mir vorstelle, dass sie mit einem von diesen Weißkitteln …« Er spuckte wütend auf den Boden.
»Nein«, sagte Jan und schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht denken. Überlegt doch mal! Das wäre ein Vergehen an Schutzbefohlenen. Wenn man dich dabei erwischt, Ralf, bekommst du beruflich nie wieder einen Fuß auf den Boden, ganz zu schweigen von den ganzen juristischen
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