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Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Toporski
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Hälfte schrumpfen wird!
     
    Ich möchte die Zeit anhalten, damit alles so bleibt, damit wir nicht auseinander gerissen werden. Aber sie scheint sich nur umso mehr zu beeilen. Papa ist längst wieder weg und gestern haben sie schon alles für Lisa und die drei Kleinen gepackt. Jeder hat sein eigenes Köfferchen, aber sie haben auch eine große Kiste mit der Bahn vorneweg geschickt. Hoffentlich kommt sie auch an!
    Heute Morgen hat Mama uns alle ganz früh geweckt. Bloß Wolfi – richtig heißt er natürlich Wolfgang -, den hat sie nicht wach gekriegt und jetzt fährt Elsbeth, die ja eigentlich ein Jahr älter ist, an seiner Stelle mit. Ganz schnell haben sie noch den Koffer umgepackt. Elsbeth ist sauer, weil sie viel lieber bei uns geblieben wäre.
    Es ist noch fast dunkel, als wir uns auf den Weg machen, und man kann vor dem Pferdewagen gerade eben die Straße erkennen. Mama fährt selber, weil Staszek den Hof versorgen muss. Sie hat nicht die Kutsche, sondern den großen Wagen genommen, weil wir so viele sind und Lisa und die drei so viel mitnehmen müssen. Wir Kinder sitzen eng aneinander gedrängt auf der Ladefläche und bibbern, obwohl wir ganz dick eingemummelt sind. Ich glaube, das macht die Aufregung.
    Am Bahnhof warten wir eine ganze Weile, ehe der Zug dampfend und zischend einfährt. Mama umarmt alle noch einmal ganz fest, und als sie und Lisa sich Ade sagen, haben beide Tränen in den Augen.
    Es geht alles so schnell. Ich habe mich noch gar nicht richtig verabschieden können, da sind sie schon unterwegs. Und als der Zug schließlich hinter der Kurve verschwunden ist und niemand mehr mit einem Taschentuch aus dem Zugfenster zurückwinkt, sinken mir die Arme herunter und ich habe ein ganz seltsames Gefühl im Bauch. Irgendetwas, das zu mir gehört, ist abgeschnitten worden, und wo es war, da ist jetzt eine große Leere. Und auf einmal wird mir bewusst, dass dies, genau dies der Augenblick ist, in dem alles anders wird, als es vorher war. Nur noch drei Kinder sind wir jetzt: Huppe, ich und zu Hause noch Wolfi, der sich gewundert haben wird, als er aufgewacht ist. Drei Kinder von sechs, das ist wie gar nichts.
    »Möge Gott sie schützen«, sagt Mama, als wir zum Wagen zurückgehen.
    Huppe hat mir erklärt, dass Bahnfahren jetzt ziemlich gefährlich ist, weil die Amerikaner Tiefflieger haben, die Züge beschießen und bombardieren. Aber dass die deutschen Jagdflugzeuge das fast immer verhindern, hat er auch erzählt. Trotzdem werde ich heute Abend dafür beten, dass sie gut ankommen.
    Auf der Heimfahrt sind wir ganz still und wickeln uns nur fest in unsere dicken Mäntel. Die Landschaft ist tief verschneit und in dem dicken Schnee hört man weder den Hufschlag der Pferde noch das Holpern der Räder. Ich glaube, dass alle genauso traurig sind wie ich, weil jetzt die anderen weg sind. Und auch, weil keiner so richtig weiß, wie es weitergeht. Einen Augenblick habe ich sogar Angst, dass wir uns gar nicht mehr wiedersehen.
     
    Wir sind schon kurz vor unserm Hof, als ich etwas Seltsames bemerke.
    »Was ist das?«, frage ich Mama, aber die bleibt stumm.
    Es ist ein unendlich langer Zug von Leuten. Sie tragen abgerissene Kleidung, gestreift, und ihre Körper sind ausgemergelt. Ihre Gesichter sind scharf geschnitten und die Augen liegen tief in ihren Höhlen. Als wir näher kommen, schauen einen viele gar nicht richtig an und ihre Augen sind eigenartig trübe. Sie schlurfen mehr über die Straße, als dass sie gehen. Fast habe ich das Gefühl, sie könnten jeden Augenblick umfallen oder sogar sterben. Manche sehen schon wie tot aus.
    »Mein Gott!«, höre ich Mama leise ausrufen, als wir vorbeifahren.
    Auf dem Hof wirft sie die Zügel nur rasch Staszek zu, greift sich einen Korb und schmeißt hinein, was reingeht: Brot, Obst, Wurst und was ihr sonst gerade in die Hände fällt. Ich helfe mit und dann rennen wir beide zur Straße zurück.
    Jene ausgemergelten Menschen reißen uns die Sachen fast aus den Händen.
    Auf einmal Gebrüll: »Halt! – Zurück!«
    Wir begreifen gar nicht, dass das uns gilt.
    »Weg mit den Lebensmitteln! Häftlinge werden nicht versorgt!«, hören wir, und erst jetzt sehen wir den Uniformierten, der auf einem Pferd, das Gewehr in den Händen, auf uns zukommt.
    »Aber warum...?«, beginnt Mama, doch der Mann lässt sie gar nicht erst ausreden.
    »Hauen Sie gefälligst ab! Und nehmen Sie das Kind da weg!«
    Unser Korb ist sowieso schon leer. Mama reißt mich an der Hand zum Hof zurück, dass

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