Kalteis
Zwar konnte man diese Dinge auch beim Kramer kaufen, aber selbst der Weg zum Kramer war für manche zu weit, und »die Wolnzacherin«, wie sie die Mutter nannten , brachte auch das eine oder an dere auf Bestellung aus der Stadt mit.
Kathie liebte es, in d en Taschen nach diesen Herrlich keiten zu suchen, den bunten Knöpfen, den Schleifen, den Kämmen. Die Mutter sah das nicht gerne, »sind die Sachen doch zum Verkaufen da«. Aber die kleine Kathie öffnete oft heimlich die Schachteln mit den Knöpfen. Sah sich die Schätze an, welche die Mutter von ihren Einkäufen aus München mitbrachte.
Bunte Knöpfe, Knöpfe aus weißem Perlmutt, aus buntem Bakelit. In allen Farben, rot, blau, grün. Sogar silberne Knöpfe hatte sie. Silberne Knöpfe, die in der Sonne blinkten. Manche wie Münzen, andere wie kleine Spiegel. Stun denlang konnte sie sich alles anschauen. Die Knöpfe, die Nähseiden. Nicht nur Zwirn hat die Mutter eingekauft, nein, auch die teuren Nähseiden. In allen Farben. Passend zu den Stoffen. Stickgarn, in bunten Strängen, und die Mus ter für die Töchter der Bauern, zum Sticken der Aussteuer. Damit die Kammerwägen der Bräute gefüllt waren und je der sehen konnte, was die Mädchen alles in die Ehe einbrachten.
Kathie merkte sich genau, wie die Mutter die Taschen eingeräumt hatte. Verstaute schnell die Schachteln, wenn sie sie kommen hörte. Legte alles an genau denselben Platz zurück. Nicht merken sollte die Mutter, dass sie wieder ge streunt hat. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie fürchtete, die Mutter würde es schlagen hören, so heftig klopfte es in ihrer Brust.
Einmal, da brachte die Mutter einen Perlenkragen aus München mit. Eine Kundschaft hatte sie darum gebeten. Modern waren diese Kragen . Auf die Kleider aufgenäht wur den sie. Die Glasperlen weiß, g rau und rosarot. In den Hän den hielt Kathie den Kragen. Spürte, wie kühl sich die Glas perlen anfühlten, wie schwer der Kragen in ihren Händen lag. Nicht widerstehen konnte sie. Mit dem umgelegten Kragen sah sie sich im Spiegel an. Wie eine kleine Madame sah sie aus, mit dem Spiegelbild unterhielt sie sich, wie eine »feine Dame« mit der anderen. Ins Gespräch mit sich selbst versunken, hat sie die Mutter nicht bemerkt. Nicht gemerkt, wie diese hereinkam ins Zimmer. Ganz erschrocken war sie darum, als sie deren Stimme hörte.
»Du schaust so lange in den Spiegel, bis dir der Teufel selber entgegenschaut.«
»Wie kann mir der Teufel aus dem Spiegel entgegen schauen?«, hat die Kathie sie noch gefragt.
»Schau nur lange genug hinein, dann wirst du es schon sehen. Bist nicht die Erste, der das passiert. Und jetzt gib mir den Kragen, der ist nicht für dich, den hab ich extra aus München mitbringe n müssen. Der gehört einer Kund schaft und die kauft ihn mir nicht mehr ab, wenn er schmutzig ist.«
Nicht gern gab sie den Kragen her. Hat sich geschworen, sie wird auch einmal so einen Kragen tragen und nicht nur so einen. Aussehen wird sie wie die Schauspielerinnen in den Filmen, die auf den Fotografien im Schaukasten des Lichtspielhauses.
Aber im Spiegel sucht die Kathie seit jenem Tag immer nach dem Teufel. Lugt in alle Ecken, ob sie ihn sehen kann oder er ihr gar schon über die Schulter blickt, Beelzebub. Gesehen hat sie ihn nie.
Der Teufel, der Teufel, der Teufel, im Takt der ratternden Räder des Zuges wiederholt sich dieses Wort immer und immer wieder in ihrem Kopf. Der Teufel, der Teufel.
Maria, mit der sie n ach München fährt, sitzt ihr ge genüber. Die Augen geschlossen, müde geworden durch das monotone »Tatagtatag« des Zugs, und eingeschlafen.
Nicht böse ist ihr Kathie deshalb, froh ist sie darüber. So kann sie ihren Gedanke n nachhängen, ohne von Maria ge stört zu werden.
Träumen von der Stelle, die sie sich in München suchen will, von dem neuen Leben . Zur Firma Hofmann will sie ge hen, hatte sie denen doch schon im Januar geschrieben. Die Hofmanns kennt die Kathie. Kauft doch die Mutter ihre Stoffe immer in der Heyses traße. Und dahin hat sie die Ka thie auch mitgenommen, zu den Stoffen, den Knöpfen und den bunten Garnrollen. Nur greifen musste man danach. Kathie sieht die Garnrolle noch immer in ihrer Hand liegen, wenn sie daran denkt. Rot war sie gewesen und fest hatte sie die Hand darüber verschlossen. Nicht mehr hergeben wollte sie sie. Keiner hatte gemerkt, wie sich die Finger um die Garnrolle schlossen. Den Schatz tief verborgen in der Kinderfaust. Draußen auf der Straße zeigte sie die
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