Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
sein?«, fragte Pia. Zum Teufel mit dem Redeverbot.
Gerlinde Kontos schüttelte den Kopf. »Eigentlich ist das hier ein Dorf, in dem nie etwas Weltbewegendes passiert. Bis auf heute natürlich ...«
»Wie ging die Familie mit Ruth Bennecke um?«
»Es waren ja nur noch Rainer und Malte da. Ihr Mann konnte nicht weg vom Hof, und ihren Sohn, den hat sie vergöttert. War auch ein hübscher Junge, dieser Malte Bennecke. Und das wusste er auch. Er hat jede Menge Blödsinn gemacht, soweit ich das weiß«.
»Was für Blödsinn?«
Gerlinde Kontos spielte kokett mit ihrer Halskette: »Na ja, zunächst waren es nur Streiche. Er hat jüngere Mitschüler im Schulbus terrorisiert, das Schulklo überflutet, später Zigarettenautomaten geknackt. Weil Ruth ihn so penetrant gelobt hat, war so etwas natürlich immer ein Gesprächsthema im Ort. Er hat schon früh mit irgendwelchen Mädchen herumgemacht. Mit Mädchen, aber auch mit älteren Frauen. Ich weiß von einer, die war 10 Jahre älter als er. Seine Mutter hat mir manchmal fast Leid getan.«
»Wer war die Frau?«
»So gut bin ich nun auch wieder nicht informiert. Es war mehr ein Gerücht«, sagte Gerlinde Kontos bedauernd, »abersie kam aus der Gegend hier. Wer weiß, was sie an einem wie Malte Bennecke gefunden hat«. Sie zog viel sagend die Augenbrauen hoch, wie um anzudeuten, dass ihre Vorstellung von einem guten Liebhaber eine andere sei.
»Das Allerschlimmste aber war: Letztes Jahr im Herbst hat Malte Bennecke ein kleines Kind getötet! Er ist mit seinem Motorrad hier vorbeigerast und hat die Tochter meiner Nachbarin überfahren. Es war ein Schock, einfach grauenhaft. Ich kam an dem Tag vom Einkaufen nach Hause, als der Rettungswagen mit Blaulicht hier stand. Das kleine Mädchen war angeblich sofort tot. Die Kleine ist keine zwei Jahre alt geworden! Sie können sich nicht vorstellen, wie mich das mitgenommen hat. Wenn man selbst Mutter ist ...« Sie schwieg einen kurzen Moment, wie um ihre Worte wirken zu lassen.
»Ist Malte Bennecke dafür zur Verantwortung gezogen worden?«, fragte Unruh in die Pause hinein.
»Nein, nicht richtig. Es gab zwar ein Gerichtsverfahren, aber er musste nicht ins Gefängnis. Tja, wenn er für eine Weile hinter Gitter gekommen wäre, dann wäre er heute wohl noch am Leben.«
Ein paar Sekunden später wurde ihr klar, was sie da soeben gesagt hatte. Sie sah Marten Unruh mit schlecht verhohlener Neugier an: »Glauben Sie, dass der Mord an den Benneckes etwas mit dem Tod des Kindes zu tun hat?«
»Es ist noch viel zu früh, irgendwelche Vermutungen zu äußern«, sagte Unruh nur.
»Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Ihren Nachbarn, den Rohwers?«
»Gut«, meinte sie mit einer Stimme, die etwas höher war als bisher. »Wir kommen prima miteinander aus, auch wenn wir nicht direkt befreundet sind«.
»Wie steht es mit Ihrer Tochter Agnes?«
»Was soll mit ihr sein?«
»Hatte sie Kontakt zu den Benneckes? Zum Beispiel zum Sohn?«
Gerlinde Kontos schüttelte energisch den Kopf: »Nein. Agnes kannte die Benneckes natürlich. Aber gerade dieser junge Mann, Malte Bennecke, der war wirklich nicht Agnes’ Stil. Meine Agnes ist doch erst 16 Jahre alt. Zurzeit interessiert sie sich noch mehr für Pferde als für Männer. Gott sei Dank! Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass die beiden sich mal in einer Kneipe oder in der Disco begegnet sind. Aber dann haben sie höchstens ein paar oberflächige Worte gewechselt, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
Pia sah Gerlinde Kontos nachdenklich an. Ihrer Erfahrung nach gab es nichts Unglaubwürdigeres als solche ausdrücklichen Beteuerungen.
»Haben Sie gestern Abend etwas Ungewöhnliches bemerkt? Schussgeräusche, ein vorbeifahrendes Auto oder Ähnliches?«
»Nein, gar nichts. Agnes und ich haben ferngesehen, unsere Lieblingsserie: Berkeley Square. Dabei hören und sehen wir nichts anderes.«
»Na denn«, Unruh erhob sich und signalisierte damit, dass das Gespräch beendet war.
Gerlinde Kontos brachte ihre beiden Besucher etwas weniger locker zu Tür, als sie sie zuvor hereingelassen hatte.
Pia Korittki und Marten Unruh entfernten sich ein paar Meter vom Haus und Marten zündete sich unter einem alten Baum eine Zigarette an. Einen kurzen Moment betrachteten sie das große Gebäude, hinter dessen Fenstern behaglich das Licht schimmerte. Marten maß seine Kollegin mit einem abschätzenden Blick: »Dann kannst du ja jetzt mit den Eltern des verunglückten Kindes sprechen. Die Rohwers wohnen
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