Kalter Schmerz
Chance?«
»Tun Sie’s denn?«
»Schon gut.« Ich zuckte mit den Schultern. »Kann ich ein Bild von ihr sehen?«
Sie schaute mich an, als hätte ich sie nach Pornoaufnahmen gefragt.
Ich hob kapitulierend die Hände. »Ich kann sie nicht finden, wenn ich nicht weiß, wie sie aussieht.«
Nach kurzem Zögern stand sie auf, ging zu einem der Bücherschränke in der Ecke und nahm ein gerahmtes Foto heraus. Das Mädchen auf dem Bild sah aus wie die dunkelhaarige Version ihrer Mutter, nur die härteren Gesichtszüge erinnerten mich eher an den Vater. Sie hatte Clares hohe Wangenknochen und dieselbe aufrechte Ballerinahaltung, aber ohne Narben war sie nicht annähernd so interessant.
»Was hatte sie heute Morgen an?«
»Sie trug ein schwarz-weiß gestreiftes Oberteil. Ähm … Jeans, schwarze Stiefel mit hohen Absätzen.«
Ich beschloss, nicht zu fragen, ob ich das Foto behalten dürfe, sondern gab es zurück. Clare stellte es wieder ins Regal. Mir fiel die Skulptur eines Frauenkörpers daneben ins Auge, die Beine hinter dem Kopf verdreht, das Gesicht konturlos bis auf einen geräuschlosen Schrei an der Stelle, wo der Mund hätte sein müssen. Die Skulptur passte nicht zum Rest des Zimmers.
Ich fing ihren Blick auf, verkrampfte leicht und sah zur Seite. »Sagen Sie, stört es Sie, wenn ich losgehe und mit ein paar Leuten spreche? Ich werde Pat auf dem Handy anrufen, aber es ist wahrscheinlich das Beste, wenn ich anfange, ein paar Anhaltspunkte zu sammeln.«
»Dafür werden Sie ja bezahlt.«
»Machen Sie sich nicht zu viele Sorgen, ja? Es geht ihr bestimmt gut.«
Sie nickte. »Dann würde sie sich melden.«
Auf dem Weg nach draußen blieb ich kurz in der Tür stehen und drehte mich um. »’tschuldigung … wie heißt sie noch mal?«
»Emma.« Ihr Gesicht war nur Schatten und Trauer, als würde sie bereits wissen, dass ihre Tochter nicht zurückkommen würde. »Sie heißt Emma.«
Auf dem Weg zum Wagen gefror mein Atem in der Luft. Ich hätte nach Hause fahren können, aber ich hatte zu tun, und Schlafen wurde eh überbewertet.
Ich wollte mir ihre Hände näher ansehen.
Die Kälte an diesem Abend war beklemmend und ein wenig einschüchternd. Ich schlüpfte durch die Hintertür in das Haus von DC Geoff Brinks. Wegen seiner spätabendlichen Zigaretten war sie nie verschlossen.
Man kam unmöglich auf die Idee, dass er zwei Kinder hatte, dachte ich, als ich mich im Dunkeln an seinen Esstisch setzte. Normalerweise fand man einschlägige Hinweise wie Zeichnungen am Kühlschrank oder Familienfotos, aber Brinks’ Haus war so leer und grau wie der Mann selbst.
Es war später als sonst, kurz nach Mitternacht, als ich ihn die Treppe herunterkommen hörte. Ich hätte ihn vorwarnen können. Aber wo wäre dann der Spaß geblieben?
Brinks knipste das Licht an, stieß einen hohen Schrei aus und ließ sich gegen die Wand fallen.
Das war immer wieder lustig.
»’n Abend, mein Sonnenschein.«
»Fuck! Fuck … Fuck, Nic!«
»Wenn du deine Tür nicht abschließt, hast du irgendwann mal kein Glück mehr, und dann bin es nicht ich, der hier unten sitzt.«
»Glück, ha …« Er ging zum Kühlschrank und nahm eine Flasche Carlsberg heraus, sein T-Shirt und die Boxershorts hingen an den hervorstehenden Hüftknochen. Er war mager, fast ausgezehrt, hatte kleine Rattenzähne und fettiges Haar. »Du kannst von Glück sagen, dass ich nicht im Adamskostüm schlafe, Junge.«
»Viel Adam wäre da aber nicht zu sehen, Kumpel.«
Schwerfällig setzte Brinks sich mir gegenüber an den Tisch. Ich wäre am liebsten aufgestanden.
»Damit muss Schluss sein«, sagte er und rieb mit den Fingern über einen Fleck auf der Plastikdecke.
»Tja, wenn du irgendwann deine Tür abschließt, muss ich mir vielleicht angewöhnen zu klopfen.« Ich zwinkerte ihm zu, konnte mir einfach nicht verkneifen, ihn zu ärgern. »Lerne dann vielleicht deine bessere Hälfte kennen, was?«
»Nein, nicht nur die Sache, ich meine das hier.« Er wies ins Leere. »Das Ganze.«
Ich schnaubte verächtlich. »Glaubst du vielleicht, ich hätte nichts Besseres mit meiner Zeit anzufangen, als neue Kontakte aufzubauen?«
»Ach, komm, Nic …«
»Ich muss bei diesem Fall auf dem Laufenden gehalten werden.«
»Nic …«
»Hör auf, mich wie eine dumme Alte anzujammern!« Ich griff in meine khakifarbene Tasche und legte ein Bündel Scheine auf den Tisch. Das brachte ihn eher zum Schweigen als Worte.
Er schaute von dem Geld auf, so blass wie die Banknoten. »Was für ein
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