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Kalter Süden

Kalter Süden

Titel: Kalter Süden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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war?
    »Julia und Alexander erwarten Sie.«
    Sie betrat das Wohnheim. Es roch ein wenig nach Schimmel und Siebzigerjahren. Helle Linoleumbeläge, rosa Glasfasertapeten, Fußleisten aus Plastik. Direkt geradeaus, hinter einer halboffenen Tür, brannte Licht, dort schien sich eine Art Versammlungsraum zu befinden. Ein paar braune Plastikstühle standen an einem furnierten Tisch. Annika hörte jemanden lachen.
    »Ich möchte Sie bitten, sich ganz natürlich zu verhalten«, sagte Henrietta, und Annika merkte sofort, wie sich alles in ihr versteifte.
    »Hier entlang …«
    Henrietta bog links ab, in einen engen Korridor mit einer Reihe Türen an der rechten Wand und Fenstern zum Parkplatz an der linken.
    »Da fällt mir sofort der einzige Interrail-Urlaub meines Lebens ein«, sagte Annika und hoffte, dass sie normal klang.
    Henrietta tat, als hätte sie nichts gehört. Sie blieb vor einer der Türen in der Mitte des Korridors stehen und klopfte leicht.
    Nirgendwo gab es Türschlösser oder Zimmernummern, bemerkte Annika. Auf der Homepage des Familienheims hatte sie gelesen, dass die Einrichtung um »ein anheimelndes Gefühl von Fürsorglichkeit und Geborgenheit« bemüht war.
    Die Tür ging auf. Ein Dreieck aus gelbem Licht fiel auf den Flurboden.
    Henrietta trat einen Schritt zurück.
    »Den Kuchen hat Alexander gebacken«, sagte sie und ließ Annika vorbei. »Ruf mich, wenn ich ihn eine Weile zum Spielen mit rausnehmen soll.«
    Den letzten Satz sagte sie ins Zimmer hinein.
    Annika blieb auf der Schwelle stehen.
    Der Raum war viel größer, als sie gedacht hatte. Er war rechteckig und hatte eine Fensterwand mit Ausgang auf eine Terrasse. Ein Doppelbett und ein kleines Kinderbett standen Seite an Seite gleich neben der Tür, weiter hinten im Zimmer befanden sich ein Sofa und ein Fernseher und ein Küchentisch mit vier Stühlen.
    Am Tisch saß Julia Lindholm, sie trug einen Pullover mit zu langen Ärmeln und hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihr Sohn wandte der Tür den Rücken zu, und seine Arme bewegten sich, als ob er hektisch zeichnete.
    Julia sprang auf, lief auf sie zu und umarmte sie fest.
    »Wie schön, dass Sie kommen konnten«, sagte sie und drückte Annika an sich.
    Annika, die zur Begrüßung die Hand ausgestreckt hatte, kam sich etwas überrumpelt vor und erwiderte die Umarmung zögernd. Hinter ihnen wurde die Tür geschlossen.
    »Ja, hm, das war doch klar«, sagte sie, »dass ich Sie beide besuche.«
    »Bisher sind noch nicht viele gekommen«, sagte Julia, als sie Annika endlich losließ und zum Sofa ging. »Über Weihnachten waren meine Eltern hier, und Nina hat uns ein paarmal besucht, aber Davids verwirrte Mutter wollte ich hier nicht haben, da habe ich nein gesagt. Haben Sie sie mal kennengelernt?«
    »Davids Mutter? Nein.«
    Annika ließ Tasche und Jacke neben dem Sofa auf den Boden fallen. Sie sah zu dem Jungen hinüber und ahnte sein weiches Profil hinter den Locken. Er malte mit dicken Wachsmalkreiden, entschlossen und ohne aufzublicken. Vorsichtig trat sie näher, ging neben ihm in die Hocke und versuchte, seinen Blick einzufangen.
    »Hallo, Alexander«, begrüßte sie ihn. »Ich bin Annika. Was malst du denn Schönes?«
    Der Junge biss die Zähne fester zusammen und ließ den Stift noch schneller übers Papier fahren. Die Striche waren dick und schwarz.
    »Davids Mutter ist so verwirrt«, sagte Julia, »und das würde noch schlimmer werden, wenn wir uns an so einem seltsamen Ort träfen. Mit Omas Besuch warten wir, bis wir wieder zu Hause sind, nicht wahr, Schatz?«
    Der Junge reagierte nicht. Das ganze Blatt war kreuz und quer mit pechschwarzen Strichen bedeckt. Annika setzte sich neben Julia Lindholm.
    »Er spricht im Moment nicht viel«, sagte Julia leise. »Sie sagen, das ist nicht so schlimm, es braucht seine Zeit.«
    »Spricht er gar nicht?«, fragte Annika.
    Julias Lächeln verschwand. Sie schüttelte den Kopf.
    Mit mir hat er gesprochen in jener Nacht, dachte Annika. Er hat mehrere Sätze gesagt.
    Hast du noch mehr Speckautos? Ich hab Angst. Die Tante ist böse. Ich mag die grünen lieber.
    Julia stellte sich ans Fenster. Annika sah im Spiegelbild der Scheibe, dass sie an einem Daumennagel knabberte. Dann sprang sie plötzlich zu einem Wandtelefon neben der Terrassentür:
    »Henrietta, kannst du Alexander nehmen? Jetzt gleich. Vielen Dank.«
    Die Stille, nachdem Julia aufgelegt hatte, war wie aufgeladen. Annikas Mund wurde trocken, in ihren Fingern begann es zu prickeln. Sie

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