Kalter Süden
Hause …«
Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und begann zu weinen.
Annika, die sich einen Kaffee aus der Thermoskanne eingeschenkt hatte, schraubte den Deckel zu und stellte die Kanne so leise wie möglich auf den Tisch zurück.
»Es ist klar, dass Sie wütend sind«, sagte sie. »Und Alexander auch. Ich halte nicht besonders viel von Seelenklempnern, aber ich nehme an, dass sie recht haben. Das Normalste an der Sache ist vermutlich, dass ihr beide wahnsinnig wütend seid.«
Julia nahm sich eine der Servietten, die neben dem Zuckerkuchen lagen, und schnäuzte sich.
»Sie sagen, für ein kleines Kind ist ein halbes Jahr wie ein ganzes Leben. Alex war ja sieben Monate da oben im Wald bei dieser verrückten Hexe, da versteht sich von selbst, dass er zornig ist. Wahrscheinlich hat er nie eine Antwort auf seine Fragen nach mir und David bekommen, für ihn waren wir also tot. Außerdem hat er gespürt, dass sein eigenes Leben in Gefahr war, sagen die Ärzte. Er hatte eine ganze Menge blaue Flecken und Schürfwunden am Körper, also hat sie ihn vermutlich immer wieder geschlagen.«
»Wie geht es ihm jetzt?«
»Er kommt zu mir, aber er will mich nicht ansehen. Nachts schläft er schlecht, er wacht oft auf und weint. Nachts müssen wir ihm wieder Windeln anlegen, dabei war er schon seit zwei Jahren trocken.«
»Und was machen Sie so den ganzen Tag über?«, fragte Annika und trank von dem Kaffee. Er war unglaublich gut.
»Ich habe Einzelgespräche, und bald soll ich mit der Gruppentherapie anfangen und mit anderen Müttern reden, angeblich hilft das sehr. Alexander spielt nur. Er gräbt in der Sandkiste und malt und spielt Ball. Wenn wir hier entlassen worden sind, wird sich die Kinder- und Jugendpsychiatrie um seinen Fall kümmern.«
Sie lachte auf, plötzlich etwas nervös.
»Aber ich rede und rede«, sagte sie. »Dabei wollte ich Ihnen doch für alles danken, was Sie für uns getan haben. Schließlich waren Sie es, die …«
Annika umklammerte ihre Kaffeetasse.
»Schon gut«, fiel sie Julia ins Wort. »Ich bin froh, dass ich mich nützlich machen konnte.«
Wieder breitete sich Stille aus.
»Und«, fragte Julia, »wie haben Sie Weihnachten verbracht?«
Annika stellte die Tasse auf den Unterteller.
Sollte sie die Wahrheit sagen? Dass die Kinder und sie Heiligabend zwischen Umzugskartons in Gamla Stan gehockt, gekochten Schinken aus der Packung gegessen und Weihnachten mit Donald Duck auf dem Laptop angeschaut hatten? Dass sie die Kinder über Silvester und die erste Januarwoche ihrem Vater überlassen hatte und die beiden sich bei ihm offenbar viel wohler gefühlt hatten?
»Ach«, sagte sie. »Ganz gut. In der Redaktion ist nur so viel zu tun. Gerade heute berichten wir über einen furchtbaren Mord an der spanischen Costa del Sol.«
Julia stand auf und drehte Annika den Rücken zu.
»Die Costa del Sol ist schrecklich«, sagte sie. »Estepona ist ein scheußlicher Ort.«
Annika blickte auf ihre Hände. Ihre Wahl an Plauderthemen war wirklich daneben. Sie wusste doch, dass Julia dort unten mit David eine schlimme Zeit durchgemacht hatte.
»Tut mir leid«, sagte sie, »ich wollte nicht …«
»Wir waren ein halbes Jahr dort unten«, fuhr Julia fort, »und David war fast die ganze Zeit unterwegs. Ich war schwanger und hatte kein Auto, und der nächste Laden war mehrere Kilometer entfernt, ich musste die schweren Einkaufstüten schleppen, bei dreißig Grad Hitze …«
»Das war bestimmt wahnsinnig anstrengend«, sagte Annika.
Julia zuckte mit den Schultern.
»Er arbeitete streng undercover, manchmal war er zwei Wochen am Stück weg, ohne sich zu melden. Diese verdammte Geheimsache hat sich über ein paar Jahre hingezogen. Jahre!«
Sie wirbelte herum.
»Und ich habe nie erfahren, worum es dabei ging. Drogen oder Geldwäsche oder irgendein anderer Mist, ich habe keine Ahnung, ich durfte es nicht wissen …«
Sie beugte sich über Annika.
»Und wissen Sie, was das Schlimmste war? Ich hatte wahnsinnige Angst, dass er dabei zu Schaden kommt. Dass irgendwas Gefährliches passiert. Und was ist passiert?«
Sie lachte laut auf.
»Er vögelt einmal zu viel mit einer durchgeknallten Tussi, die ballert ihm Kopf und Schwanz weg, aber mich sperren sie ein, und Alexander …«
Sie kam ganz dicht heran und starrte Annika in die Augen.
»Sie sagen, dass Alexander für den Rest seines Lebens darunter leiden wird. Und mir hat niemand geglaubt.«
Sie schlug mit der flachen Hand so heftig auf den Tisch,
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