Kalter Tee und heiße Kuesse
an die Demütigungen, die Alexander ihr zugefügt hatte, brachten sie immer wieder fast zum Weinen. Dieser Mistkerl. Nein, sie würde sich so schnell mit keinem Mann mehr einlassen. Wenn sie es überhaupt jemals wieder wagen würde. Andererseits beneidete sie Charlotte um ihre Lebenslust, um ihre heitere Fröhlichkeit, um ihre ewige gute Laune, um ihr Nie-müde-Sein, um ihr … ach, einfach um alles.
Sie betrachtete ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe. Ich bin ein Mauerblümchen, war alles, was ihr dazu einfiel. Ich bin ein unterprivilegiertes kleines, graues Mäuschen, das am Rande der Gesellschaft vor sich hinvegetiert und das für den Rest meines Lebens.
Dann schloss sie das Fenster, setzte sich an ihren Schreibtisch und grübelte über wahnsinnig werbewirksame Sprüche nach, die alle Leute dazu bewegen sollten, für ihre dicken Hunde Dickie-Dick-Hundefutter zu kaufen. Weil die dicken Hunde durch Dickie-Dick wahnsinnig schlank werden würden. Während ihr immer noch nichts einfiel, dachte sie darüber nach, dass sie sich gar nicht mehr erinnern konnte, wann sie überhaupt das letzte Mal Sex mit Uwe gehabt hatte. Sie wusste es einfach nicht. Wahrscheinlich würde sie auch nie wieder Sex haben. Nie wieder. Höchstens mit ihrem Zahnarzt. Aber das ging ja gar nicht. Sie hatte ja eine Zahnärztin.
Nach einer weiteren Viertelstunde stellte Lena fest, dass sie weinte. Einfach so. Sie merkte es daran, dass die Tränen vor ihr auf dem Tisch landeten. Schnell nahm sie ein Taschentuch aus ihrer Schreibtischschublade, wischte sich die Tränen ab und putzte sich die Nase. Sie konnte dennoch einfach nicht aufhören mit dem Weinen. Wie viele Millionen Männer gab es auf der Welt? Einige doch bestimmt. Gut, sie müsste vielleicht mal aus Hannover raus, in eine andere Stadt – möglicherweise auch in ein anderes Land, nach Kanada oder in die Karibik. Irgendwo müsste es schließlich einen Mann geben, der mit ihr zusammenleben wollte. Ans Heiraten wollte Lena gar nicht denken. Bloß dann dachte sie doch ans Heiraten und musste noch mehr weinen. Sie wollte auch mit Reis beworfen werden und in einem rosafarbenen Cadillac chauffiert werden, sie wollte auch zusätzlich zum Trauring einen Beisteckring tragen, mit einem wunderschönen kleinen Brillanten. Es sollten Reden gehalten werden, und ihre Großmütter sollten bitterlich weinen vor Freude. Ihre Freundinnen müssten neidisch auf ihr seidenes, elfenbeinfarbenes Kleid sein. Das konnte einfach alles nicht wahr sein!
Urplötzlich musste Lena kräftig niesen und zu allem Überfluss auch noch husten. Schnell stand sie auf, ging zu dem kleinen Besuchertisch und goss sich einen Tee ein, während sie weiter gleichzeitig nieste und hustete. Könnte das jetzt bitte mal aufhören? Hastig setzte sie die Tasse an und ließ den Tee in ihren Mund laufen. Noch während sie schluckte, musste sie erneut husten, und während sie erneut husten musste, öffnete sich direkt neben ihr die Bürotür, und als sie dann in die schönsten grünen Augen blickte, die sie jemals gesehen hatte, verschluckte sie sich ganz schrecklich. In der nächsten Sekunde schoss eine Teefontäne aus ihrem Mund direkt in das Gesicht ihres Gegenübers.
2. KAPITEL
Magnus Reichenbach schloss geistesgegenwärtig die Augen, bevor der heiße Tee ihn traf. Benommen taumelte er einen Schritt zurück, wischte sich mit dem Anzugärmel übers Gesicht und bereute das schon im nächsten Moment. Verflixt, der Anzug hatte eine Menge Geld gekostet. Ob die Flecken jemals wieder rausgehen würden? Als er kurze Zeit später die Augen wieder öffnete, sah er vor sich eine Frau, die händeringend etwas zu suchen schien. Sie war hochrot im Gesicht und sah ein wenig so aus, als hätte sie eine Wespe verschluckt.
„Das tut mir so leid, ich weiß auch nicht“, sie nieste, „wie das passieren konnte. Warten Sie, ich suche ein Handtuch. Aber ich habe hier gar kein Handtuch. Oh Gott, wie furchtbar, ich werde die Reinigung natürlich bezahlen. Hier, nehmen Sie meine Jacke, damit können Sie sich abtrocknen.“ Sie schoss heran und wedelte mit einem Jackett vor ihm herum. „Nein danke“, sagte Magnus, der zunehmend zorniger wurde, weil er sah, dass nicht nur seine Anzugjacke, sondern auch seine Hose und sein Hemd Teeflecken hatten.
„Das ist mir noch nie passiert“, meinte die Frau, die immer noch einen roten Kopf hatte. Dann hielt sie inne. „Doch, einmal, aber das ist lange her. Und es war Kakao.“ Was redete sie da?
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