Kalter Tee und heiße Kuesse
gegeben. Sie richtete sich auf. „Gut“, sagte sie dann. Dieser Mann verwirrte sie immer mehr. Dauernd musste sie auf seine Hände schauen. Er hatte feingliedrige, aber trotzdem muskulöse Finger. Und er trug keinen Ring. Aber was hatte sie das zu interessieren?
„Wenn mir etwas einfällt, rufe ich Sie an.“
„Ja“, brachte Lena heraus. „Das ist nett. Wir können das ja so machen: Sie nehmen zwei der Ausdrucke mit, ich behalte zwei, und morgen sind wir gleichzeitig fertig.“ Warum sagte sie das? Wenn Magnus bis morgen nichts Anständiges zustande brachte, konnte sie entweder nur mit zwei Vorschlägen oder – wenn ihr auch nichts einfiel – mit gar nichts zur Melchior gehen.
„Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer von zu Hause. Da bin ich eigentlich immer zu erreichen, wenn ich nicht hier bin.“
Aha, dachte Magnus. Sie ist immer zu Hause. Das habe ich mir fast schon gedacht. Lena Sanders hat offenbar niemanden, der abends mit ihr einen Wein trinken geht. Ob sie sich manchmal alleine in eine Bar setzt, um Anschluss zu finden? Nein, das passte nicht zu ihr. Er raffte die beiden Papierbogen zusammen und verließ ihr Büro. Lena schaute ihm nach. Dieser Mann brachte sie völlig durcheinander.
Den restlichen Tag verbrachte sie damit, a) darüber nachzudenken, dass dieser Bernhardiner auf den Fotos eigentlich gar nicht fett war, sondern nur ungünstig fotografiert, b) darüber nachzudenken, dass sie doch eigentlich mal wieder zum Friseur gehen sollte, und c) darüber nachzudenken, warum sie so viel über Magnus Reichenbach nachdenken musste. Wie er wohl privat war? Brachte er seiner Freundin, wenn er denn eine hatte, regelmäßig Blumen mit und am Samstagmorgen Kaffee und Croissants ans Bett, das selbstverständlich mit cremefarbener Seidenbettwäsche bezogen war, in der sich eingewebte Lilien befanden? Lena hatte ein Faible für schöne Bettwäsche. In ihrem Besitz befanden sich mindestens dreißig Garnituren, eine schöner als die andere. Das Traurige war nur, dass sie immer alleine in der schönen Bettwäsche schlafen musste. Lediglich Moritz war stets bei ihr. Moritz war ein kleines Stoffkamel, das Lena zu ihrem zweiten Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Moritz widersprach wenigstens nie, kostete sie kein Geld und war immer für sie da.
Magnus schaute auf die Uhr. Es war halb zehn am Abend. Er stand auf, streckte sich so lange, bis seine verspannten Muskeln wieder etwas lockerer wurden, und wanderte dann in seinem Wohnzimmer auf und ab. Er musste dringend mal wieder ins Fitnessstudio oder wenigstens laufen gehen. Magnus war stolz auf seine durchtrainierte Figur, allerdings musste er aufpassen: Schließlich wurde er auch nicht jünger, und er hatte regelrechte Panik davor, dass sich bei ihm ein Bauchansatz bilden könnte. Er beobachtete täglich seine vollen, braunschwarzen Haare. Nicht auszudenken, wenn er eine Glatze bekäme. Aber sein Vater hatte glücklicherweise keine, insofern war Magnus einigermaßen beruhigt. Er ging ans Fenster und schaute runter auf die Straße. Verliebte Pärchen schlenderten eng umschlungen herum. An diesem warmen Herbstabend waren viele Leute unterwegs und schauten sich die Schaufensterauslagen an. Womöglich schmiedeten sie Zukunftspläne. Magnus lachte innerlich bitter auf. Diese Zeiten waren für ihn vorbei. Er öffnete das Fenster, schloss es aber gleich wieder, weil er die schöne Atmosphäre, die nun von draußen in seine Wohnung zu dringen schien, nicht ertragen konnte. Wann war er eigentlich das letzte Mal aus gewesen? Also mit einer Frau. Aber je länger er darüber nachdachte, desto länger schien es her zu sein.
Er setzte sich wieder an seinen antiken Schreibtisch, ein Erbstück seines Urgroßvaters, eine wunderschöne Arbeit mit Intarsien und einer grünen Lederauflage, und sah sich den Hund auf den beiden Bögen an. Fast hatte er den Eindruck, der Bernhardiner sei von ihm enttäuscht. Dann stand Magnus abrupt auf und ging zum Telefon.
Lena war vor Erschöpfung halb eingeschlafen, als das Telefon klingelte. In ihrem Dämmerschlaf hatte sie geträumt, dass sie in den Ötztaler Alpen von genau diesem Bernhardiner verfolgt würde, und er kam immer näher, während sie sich durch den hüfthohen Schnee kämpfte. Benommen schreckte sie hoch. Mist. Mist. Mist . Noch immer hatte sie keine einzige Zeile zustande gebracht. Und wer rief da jetzt an? Charlotte? Frau Melchior, die sie daran erinnern wollte, dass alles bis morgen Mittag fertig sein musste? Die Nummer war
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