Kalter Tod
Fragen der Zuständigkeit anging, allein ausbaden müsste. Den Detectives einer Division einen Fall zu entziehen, war immer eine haarige Angelegenheit. Es war in der Regel eine Entscheidung, die von Vorgesetzten getroffen wurde, nicht von den Detectives vor Ort. Kein Homicide Detective, der das Gold auf seiner Dienstmarke wert war, gab einen Fall gern ab. Das war einfach nicht Teil seiner Mission.
»Dann also bis gleich, Ignacio«, sagte Bosch.
»Harry«, sagte Ferras. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen mich Iggy nennen. Alle tun das.«
Bosch sagte nichts. Er wollte ihn nicht Iggy nennen. Er fand, das war kein Name, der zur Bedeutung ihrer Mission passte. Er hoffte, sein Partner würde es irgendwann merken und aufhören, ihn darum zu bitten.
Dann fiel Bosch noch etwas ein, und er trug Ferras auf, im Parker Center vorbeizufahren und dort ein Auto für sie auszuleihen. Das würde zwar sein Eintreffen am Tatort verzögern, aber Bosch hatte vor, mit seinem eigenen Wagen zum Tatort zu fahren, und er wusste, er hatte nicht mehr viel Benzin im Tank.
»Okay, bis dann.« Diesmal verzichtete Bosch einfach auf irgendwelche Namen.
Er legte auf und nahm sein Sakko aus dem Schrank am Eingang. Als er hineinschlüpfte, begutachtete er sich kurz in dem Spiegel, der an der Innenseite der Tür angebracht war. Mit 56 Jahren war er schlank und fit, und er hätte sogar ein paar Pfunde mehr auf den Rippen vertragen können, während andere Detectives seines Alters eher mit einem mehr oder weniger umfangreichen Rettungsring durch die Gegend liefen.
Bei Homicide Special gab es zwei Detectives, die wegen ihrer Körperfülle als Fass und Kiste bekannt waren. Mit solchen Problemen brauchte sich Bosch nicht herumzuschlagen.
Das Grau hatte noch nicht alles Braun aus seinem Haar vertrieben, aber viel fehlte nicht mehr. Seine dunklen Augen blitzten, und er war bereit für die Herausforderung, die ihn am Aussichtspunkt erwartete. Bosch sah in seinen Augen eine Grundvoraussetzung für die Arbeit eines Ermittlers des Morddezernats: dass er, wenn er zur Tür hinausging, nicht nur dazu bereit, sondern auch in der Lage war, alles zu tun, um seinen Auftrag zu erfüllen – und zwar egal, was es ihm abverlangte. Das verlieh ihm das Gefühl, kugelsicher zu sein.
Er langte mit der linken Hand quer über seinen Oberkörper, um seine Dienstwaffe aus dem Holster an der rechten Hüfte zu ziehen. Es war eine Kimber Ultra Carry. Er überprüfte Ladestreifen und Verschluss, dann steckte er die Pistole wieder ins Holster zurück.
Er war bereit. Er öffnete die Tür.
Der Lieutenant hatte nicht viel über den Fall gewusst, aber in einem Punkt hatte er recht gehabt. Der Tatort war nicht weit von Boschs Haus entfernt.
Er fuhr zum Cahuenga hinunter und nahm dann den Barham Boulevard über den Freeway 101. Von da war es auf dem Lake Hollywood Drive nicht mehr weit zum Mulholland Dam hinauf, wo sich die Häuser an die Hügel um den Stausee drängten. Es waren teure Häuser.
Er fuhr um den eingezäunten Stausee herum und hielt nur einmal kurz an, als er einen Kojoten auf der Straße sah. Das Scheinwerferlicht ließ dessen Augen aufleuchten, bevor er sich abwandte und gemächlich über die Straße schlenderte und im Gestrüpp verschwand.
Der Kojote hatte es nicht eilig, fast so, als wollte er Bosch herausfordern, etwas zu tun. Es erinnerte ihn an seine Zeit als Streifenpolizist, als er genau den gleichen herausfordernden Blick in den Augen der meisten jungen Männer gesehen hatte, denen er auf der Straße begegnet war.
Als er den Stausee passiert hatte, fuhr er auf dem Tahoe Drive weiter die Hügel hinauf, bis er das Ostende des Mulholland Drives erreichte. Dort lag ein inoffizieller Aussichtspunkt auf die Stadt. Er war bepflastert mit Parkverbot- und Aussichtspunkt-bei-Dunkelheit-geschlossen-Schildern, die jedoch regelmäßig zu allen Tages- und Nachtzeiten missachtet wurden.
Bosch hielt hinter einer Reihe von Behördenfahrzeugen an – der Kombi der Spurensicherung, der Wagen der Rechtsmediziner sowie mehrere Streifenwagen und zivile Einsatzfahrzeuge.
Der Tatort war weiträumig mit gelbem Polizeitape abgesperrt. Hinter der Absperrung stand ein silberner Porsche Carrera mit offener Motorhaube, der noch einmal mit gelbem Absperrungsband umgeben war. Daraus schloss Bosch, dass es sich dabei um das Auto des Opfers handelte.
Bosch parkte und stieg aus. An der äußeren Absperrung notierte ein Streifenpolizist seinen Namen und seine Dienstnummer – 2997
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