Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
Die Nummerntafeln, die Vesna üblicherweise auf ihre Maschine montierte, stammten von einem alten Motorrad eines Cousins. »Also hat es gleich zwei Überfälle gegeben? Fürchterlich.«
Es war ihm klar, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: Entweder ich hielt ihn zum Narren, oder ich selbst war eine Närrin. Aber was sollte er tun?
»Wollen Sie Anzeige erstatten?«, fragte er dann.
Das hätte gerade noch gefehlt. »Nein, es ist ja nichts gestohlen worden. Weil Sie gerade vorbeigekommen sind. Herzlichen Dank.«
»Sie haben den Motorradlenker nicht schon einmal gesehen? Könnte ja sein, dass er sich öfter hier herumtreibt.«
Was für ein Glück, dass Vesna zwar nicht groß, dafür aber muskulös war. Mit ihren schmalen Hüften und einem Helm auf dem Kopf konnte sie gut für einen Mann gehalten werden. »Ich habe nicht einmal das Motorrad bemerkt.«
Er brauste ab. Ich griff mir meine Taschen und schleppte sie weiter. Hunderte Male hatte ich Vesna schon gesagt, sie solle ihre Höllenmaschine daheim lassen. Was, wenn sie wirklich erwischt würde? Abgeschoben wurde man schnell.
Ich sah auf die Uhr. Nur mehr eine Stunde Zeit bis zum Galaabend für behinderte Kinder. An sich hätte die Ressortleiterin selbst darüber berichten sollen, aber auch sie war ein Opfer der Grippewelle geworden. Also musste ich einspringen. Das Ganze lief unter der Schirmherrschaft der Gattin eines ehemaligen Bundeskanzlers. Die Prominenz aus Politik, Kunst und Wirtschaft würde dicht wie sonst selten vertreten sein. Dem Anlass entsprechend würden sich sogar ein paar der wirklich Reichen und Mächtigen sehen lassen. Alle waren dafür, behinderten Kindern zu helfen.
Ich stellte Gismo mit einem Stück Lammleber ruhig, verstaute meine Beutestücke und hetzte dann ins Bad. Jeans, Bluse, Unterwäsche landeten auf dem Boden. Das Duschwasser war so heiß, dass der Spiegel schneller anlief, als ich in die Brausetasse steigen konnte. Ich fragte mich, warum die Politiker nebst Gattinnen, die heute, über sich selbst begeistert, spenden würden, nichts dafür unternahmen, dass sich der Staat ausreichend um behinderte Kinder und ihre Bedürfnisse kümmerte. Aber Sozialpolitik lässt sich eben schlecht mit einer Gala feiern.
Noch eine halbe Stunde. Ich rief ein Taxi. Das war im Spesenbudget drinnen. Mag zwar sein, dass ich mit der U-Bahn etwas schneller gewesen wäre, aber ich war heute schon genug herumgehetzt. Der Wagen käme in drei bis fünf Minuten, teilte mir eine weibliche Stimme in der Taxizentrale mit. Ich legte auf, sah noch einmal auf das Telefon und rief Vesna an.
Sie war schon nach dem ersten Läuten am Apparat, aber ihre Wohnung bestand auch nur aus zwei Zimmern.
»Was gibt es, Mira Valensky?«, fragte sie.
»Nichts Besonderes. Ich wollte mich bloß melden. Irgendwelche besonderen Vorfälle?«
»Vorfälle? Keine. Gismo hat Müllsack umgedreht, du darfst Olivenkerne nicht hineintun, Mira Valensky. Das riecht sie und hofft auf Oliven und dreht alles um.«
»Und sonst?«
»Was sonst?«
»Na ja.«
»Doch, noch etwas, war knapp, aber großer Spaß. Habe heute eine weiße Maus abgehängt, Motorradpolizist, du weißt schon. Ich gehe harmlos zu Maschine und sehe, wie er neben seinem Motorrad steht und herumschaut. Weiß nicht, was er will. Ich natürlich nichts wie weg. Er hinter mir drein. Aber ich habe ihn abgehängt. Meistens kommen diese Motorradpolizisten vom Land. Ich aber lebe fast zehn Jahre in Wien. Fahre durch ein paar schmale Gassen, Einfahrten, weg war er. Gute, starke Maschine.«
Kurze Zeit war ich sprachlos. Dann rückte ich mit meiner Version der Geschichte heraus.
»Auch gut, vielen Dank. Wenn du wieder einmal Hilfe brauchst, auch du kannst auf mich zählen. Aber abgehängt ich hätte ihn sowieso.«
»Du kannst mir helfen, indem du deine Mischmaschine verschrottest.«
»Das meinst du nicht im Ernst. Du erinnerst dich, wie wir damals gemeinsam in der Nacht durch Wien geglüht sind?«
Ich erinnerte mich daran, aber nicht gern. »Das war ein Notfall.«
»Notfall kann es immer geben.«
»Zum Beispiel, dass du überraschend zu mir putzen kommen musst.«
»Auch da hätte Notfall passieren können.«
Ich gab es auf.
»Danke, Mira Valensky«, sagte Vesna mit warmer Stimme, »und es ist wahr: Wenn du mich brauchst, ich bin da.«
Mehrere hundert Menschen, die pro Kopf mehrere hundert Euro dafür bezahlt hatten, sahen gerührt, wie behinderte Kinder gemeinsam mit dem Ensemble der Wiener Staatsoper Ballett tanzten. Das war
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