Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
der Höhepunkt und Schluss des Galaabends. Man fühlte sich erhoben, man fühlte sich gut, mit dabei gewesen zu sein, Gutes getan zu haben für welche, die es nicht nur brauchten, sondern es sich auch verdienten. Leistung muss eben sein. Ich schüttelte den Kopf, als ich mich mit einigen Kollegen aus der Journalistenloge drängte. Kein Grund für Zynismus. Es war ein schönes Programm gewesen, und hätte Rainhard Fendrich nicht zum tausendsten Mal »We are from Austria« gesungen, wäre die Gala restlos gelungen gewesen. Doch der Abend war noch nicht vorbei, jetzt kam das, weswegen zumindest ich da zu sein hatte. Der Champagnerempfang, bei dem man über Gutes und weniger Gutes reden oder über irgendwelche gemeinsamen Bekannten herziehen konnte, feststellte, wer da war und wer nicht da war und wer mit wem da war. Eine ganzes Rudel von Fotografen war bereits ausgeschwärmt, ich hatte mich mit der Fotografin des »Magazins« schon vor Beginn der Veranstaltung abgesprochen.
Mein schwarzes Kleid, das ich zu allen festlicheren Anlässen trug, spannte um die Hüften. Ich zupfte es nach unten, versuchte den Bauch einzuziehen und sah mich um. Allzu lange würde ich nicht mehr bleiben müssen. Eine kleine, einfache Story mit vielen Bildern und einer Menge Namen. Die aufgedonnerte Frau des auf allen Society-Events unvermeidbaren Wurstfabrikanten hatte mich entdeckt und winkte mir zu. Ich nickte zurück und ging eilig weiter. Das hätte mir gerade noch gefehlt, von ihr ins Gespräch gezogen zu werden. Aber sie musste sich ohnehin keine Sorgen machen, sie würde in meinem Bericht vorkommen. Wo konnte man bloß ein Kleid in derart schreiendem Pink kaufen? Wieder winkte jemand, diesmal von der Champagnerbar her, er stand ganz vorne und war von einer Menschentraube verdeckt, zuerst konnte ich gar nicht erkennen, wer es war. Vielleicht war auch gar nicht ich gemeint. Ich sah mich um, Menschen gab es genug in der Winkrichtung, aber niemand schien zu reagieren. Dann wurde ein blonder Haarschopf sichtbar. Joe. Meine Gefühle, ihn hier zu treffen, waren geteilt. Vor rund einem halben Jahr hatte ich ihm wegen Oskar den Laufpass gegeben. Unsere Beziehung war nicht mehr besonders intensiv gewesen, dennoch spürte ich so etwas wie Schuldgefühle. Allerdings war da schon auch noch etwas anderes, mein Herz klopfte etwas schneller, als er sich mit zwei Gläsern Champagner durch die Menge zu mir drängte. Joe trug einen schwarzen Smoking, der seine breiten Schultern betonte, und sah einfach hinreißend aus. Als TV-Moderator volkstümlicher Musikshows war er einer der Lieblinge diverser goldener und silberner Blätter. Privat war er immer gut angezogen, nur quasi dienstlich trug er bisweilen Sakkos, die weit über meiner Peinlichkeitsgrenze lagen. Ich erinnerte mich an jenes mit dem röhrenden Hirschen auf der Brust, und mich schauderte noch immer.
»Hallo Joe, was machst du denn hier?«
Er lächelte, gab mir einen Kuss auf die Wange, und ich ertappte mich beim Gedanken, dass Oskar nie so elegant wirken würde. »Ich bin einer der Paten dieser Gala«, erwiderte er. »Tolle Sache, was?«
Ich nickte. Unser Gespräch war schon jetzt ins Stocken geraten. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatten wir uns viel zu sagen. Oder war es damals bloß egal gewesen, ob und worüber wir sprachen? »Wie geht es dir?«
»Gut so weit. Gut. Ich mache die neue EU-Show gemeinsam mit einer Kollegin aus Deutschland.«
»Ja, das hab sogar ich mitbekommen. Herzlichen Glückwunsch.«
»Und dir? Wie geht es dir?«
»Auch gut. Ich mache immer dasselbe.«
»Keine Morde?«
»Keinerlei Morde, harmlose Gesellschaftsberichterstattung, so wie heute Abend. Nächste Woche darf ich sogar wieder einmal etwas halbwegs Intelligentes machen. Ich interviewe Carla Novy, du weißt, den neuen Literatur-Shootingstar aus der Schweiz.«
»Ja … Und sonst?«
»Sonst?«
»Privat?«
»Na ja, ich bin immer noch mit Oskar zusammen. Und du?«
»Niemand. Hab ohnehin keine Zeit.«
Mir gab es einen Stich, zehn Prozent Bedauern, neunzig Prozent Eitelkeit. Hatte er sich unsere Trennung so sehr zu Herzen genommen? Aber das war wohl Unsinn, es stimmte schon, er war eben fast ständig unterwegs. »Na ja, dir rennen die Frauen ohnehin die Türe ein.«
Er verzog das Gesicht.
Ich nippte am Champagner. Mir wurde wehmütig-nostalgisch zu Mute. Es war schon eine schöne Zeit gewesen mit ihm, auch wenn ich den Eindruck nicht losgeworden war, dass er selbst abseits der Kameras nicht aufhören
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