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Kaltes Grab

Titel: Kaltes Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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stammen. Vielleicht hatte er vorhin im Scheinwerferlicht einfach nur ein paar Kleidungsstücke gesehen … ein weißes Hemd vielleicht, so zerknittert, dass es in dem Augenblick, als es von der Pflugschar aus der Tasche geschleudert wurde, wie ein menschliches Gesicht ausgesehen hatte.
    Bradley bückte sich und wollte den Schuh aufheben, spürte jedoch einen leichten Widerstand. Vielleicht war der Schuh festgefroren. Bradley scharrte noch ein wenig mehr Schnee beiseite, bis sein Blick auf die Socke fiel, deren grün-blaues Schottenkaro ihn unwillkürlich an die Socken einiger Abteilungsleiter in der Grafschaftsverwaltung erinnerte. Er berührte sie, als er den gefrorenen Schnee wegwischte. Das war eindeutig die Socke eines Büroangestellten, so etwas trug niemand in Arbeitsstiefeln. Mit so modischen Socken würde man sich hier draußen im Handumdrehen die Füße abfrieren.
    Bradley bemerkte, dass seine Gedanken abschweiften. Es dauerte einige Zeit, bis er schließlich akzeptierte, was ihm seine Finger sagten. In der Karosocke steckte ein Knöchel, und in dem Schuh steckte ein Fuß. Unter dem Schnee lag ein Mann.
    Bradley richtete sich auf und drehte sich nach dem Fahrer um, der immer noch seinen Pflug und das glänzende Schaufelblatt inspizierte, das allein schon eine halbe Tonne wog. Im vergangenen Winter hatten sie mit einem ähnlichen Modell einem VW-Käfer den Kotflügel abgerissen, ehe sie überhaupt gemerkt hatten, dass unter dem Schnee ein abgestelltes Auto stand. Bradley wusste noch genau, wie das Schaufelblatt das Metall einfach so aus dem Wagen gerissen hatte, wie ein Fleischmesser, das ein gekochtes Hühnchen zerteilt. Und der Käfer mit seiner modischen gelben Lackierung hatte ihn tatsächlich an ein Hühnchen aus dem Supermarkt erinnert. Damals hatten er und sein Fahrer einige Sekunden auf den Metallfetzen gestarrt, der sich an der Pflugschar verfangen hatte, ohne zu erkennen, worum es sich handelte, bis der Wind den Kotflügel, der seine Scheinwerferkabel wie durchgetrennte Sehnen hinter sich herzog, erfasst und die Straße entlanggeweht hatte.
    Jetzt rief sich Trevor Bradley dieses Bild wieder ins Gedächtnis zurück. Gerade eben war etwas gegen den Pflug geprallt und vom Schaufelblatt ein Stück mitgeschleift worden. Er erinnerte sich an etwas, das für den Bruchteil einer Sekunde im seitlich wegspritzenden Schnee gewinkt hatte. Anfangs hatte sein Verstand dieses Ding nicht einordnen können, doch jetzt identifizierte er es eindeutig als menschlichen Arm. Außerdem war da noch das Gesicht gewesen. Der Arm und das Gesicht waren alles, was er von dem Körper gesehen hatte, den der Schneepflug aufgegabelt und in die Dunkelheit geschleudert hatte.
    Er spürte, dass er würgen musste, und beschloss, sich lieber nicht vorzustellen, was der Schneepflug womöglich mit dem Rest angestellt hatte.
    Bradley öffnete den Mund und rief den Fahrer.
    »Jack!«
    Doch seine Stimme war zu leise in der kalten Luft, außerdem ging sie im Dröhnen eines Düsenflugzeugs unter, das in den dichten Wolken über ihnen seine Anflugschneise nach Manchester suchte. Das Dröhnen der Triebwerke ließ die Windschutzscheibe des Schneepflugs vibrieren, ehe es langsam nachließ und hinter der Kuppe des Irontongue Hill verklang. Es war eine Boeing 767 der Air Canada, kurz vor dem Ende ihres siebenstündigen Fluges aus Toronto.

3
    V or jeder Tür auf dem schmucklosen Korridor stand ein Paar Schuhe, darunter ein Paar Turnschuhe mit dicken Gummisohlen, ein Paar braune, an der Seite aufgerissene Straßentreter, und ein Paar hohe Doc Martens. Den Anfang bildeten Eddie Kemps Gummistiefel, von denen der geschmolzene Schnee rann und auf dem Fußboden Pfützen bildete. Im Hintergrund spielte Nigel Kennedy Die Vier Jahreszeiten.
    »Hat er nach einem Arzt verlangt?«, fragte Ben Cooper.
    »Nach einem Arzt?« Der Sergeant runzelte die Stirn und blätterte die Papiere durch. »Nein. Er hat nur gesagt, dass er zwei Stück Zucker in den Tee nimmt, wenn ich dann so weit bin.«
    »Geben Sie ihm Gelegenheit, um einen zu bitten, Sarge, nur für alle Fälle.«
    Der Sergeant war gut einsachtzig groß und strahlte ebenfalls diese typische Verdrossenheit aus, die Cooper bei allen Beamten festgestellt hatte, nachdem sie ein paar Monate mit der Aufnahme von Gefangenen in die Untersuchungshaft zu tun gehabt hatten. Sie bekamen zu viel von der schäbigen Seite des Lebens zu sehen, zu viele Gefangene, die immer wieder ein und aus gingen.
    »Wieso? Glaubt er, mit

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