Kaltgeschminkt (German Edition)
meiner Tür hindurch, gleich darauf sah ich den dürren Schatten flüchten, der zwischen zwei auf den Stufen liegenden Blättern verschwand. Da ich keine Leiche hatte, ignorierte ich den Brief und warf ihn in den Müll. In Minas Kuvert liegt außer dem Kärtchen eine Halloweenmaske. Ich wiege sie in der Hand, sie ist weich und stinkt. Jedes Mal, wenn ich einen exzentrischen Beerdigungswunsch erhalte, bin ich wieder verwundert, aber ich mache mich an die Arbeit.
Ihre Mutter hat Schuhe für sie mit hineingelegt. Sehr hohe, schwere Lackschuhe mit metallenen Absätzen. Sehr exzentrisch. Die soll sie also zu Lebzeiten geliebt haben. Gerade komme ich mir vor, wie ein sehr kranker und grausamer Henker. Dass meine Klienten von all diesen Sperenzchen nichts mehr haben, würde ich gern glauben. Aber ich weiß, wie es wirklich ist. Ich weiß, dass es anders abläuft. Zum ersten Mal schwöre ich mir mit all dem aufzuhören und ganz in den Tümpel zu steigen. Aber der letzte Funke Menschlichkeit hindert mich. Er bindet mich an diese Frist, zu der mein Leben geworden ist, und an den noch nicht eingehaltenen Vertrag. Besser als tot zu sein, denke ich. Oder doch nicht? Noch immer kann ich mich nicht entscheiden. Weil ich mich fürchte. Vor dem, was danach kommt. Meine Arbeit ist präzise und angesehen. Meist gelingen mir die unmöglichsten Ausbesserungen. Ich bin beinahe schon ein Schönheitschirurg in meinem Metier. Seit den ersten Aufträgen kann ich mich ernähren und habe ein Dach über dem Kopf. Ich besuche gelegentlich den Pub und beschwere mich nicht, dass es nicht für teure Uhren oder einen Rolls reicht. Denn, verdammt, ich bin wieder am Leben. Mina Knightley ist fertig. Der Sarg zu. Eine Halloweenmaske liegt, wie verlangt auf ihrem Gesicht. Sie ist beinahe ident mit ihrem eigenen nur etwas … echter, eine monströse Variante. Ich streife den Kittel ab, wasche meine Hände. Mit steifen Beinen stakse ich in mein Zimmer, um noch ein wenig unruhigen Schlaf abzubekommen. Und gleich darauf falle ich in komatöse Ruhe.
Zur unsäglichsten Stunde des nächsten Morgens wecken mich Klappern und Rumoren aus den unteren Räumen. Benommen wanke ich am Geländer entlang in die Küche. James Beastly hantiert mit Pfannen und Brotmesser, und klebt bizarre Eifiguren auf Brotscheiben. Dünne Kohlestreifen in der zweiten Pfanne sagen mir, dass er auch noch Speck angebraten hat – oder vielmehr metamorphiert.
»Guten Morgen.«
»Hey! Alter! Ausgeschlafen? Lust auf ein echtes Männerfrühstück?«
Er klatscht mir einen Teller voll und hält ihn mir unter die Nase.
»Danke. Du hast … Kohle gemacht.«
Er klopft mir belustigt auf die Brust. Diesmal zucke ich jedoch zusammen, als sich das Gargoyle in meiner Brustwarze schmerzhaft dreht.
»Gut geschlafen?«, will ich halbherzig wissen. Eigentlich interessiert es mich nicht sonderlich wie andere Menschen schlafen, ob es ihnen schmeckt oder ob sie sich in guter Gesellschaft wägen. Aber ich will kein allzu schlechter Gastgeber sein.
»Ganz okay. Gab´s das Mistwetter gratis dazu? Kaufen Sie das gruselige Anwesen der bösen Königin und erhalten sie zwei Kumulus- und drei Zirruswolken obendrauf?«
Er lacht und mir ist eher nach noch mehr Schlaf zumute.
»Sag mal«, er stellt zwei Gläser mit frisch gepresstem Orangensaft auf den Tisch und lässt sich auf einem Platz nieder, »wer hat dir denn den hübschen Lidstrich verpasst?«
Als ich nicht antworte, hakt er nach. Er ist wirklich sehr geduldig mit mir. Oder in einer sehr verzweifelten Lage.
»Ich meine, gestern wollte ich nichts sagen, ist unhöflich und so. Aber heute sind wir ja schon richtige Kumpel, daher …« Er deutet mit einer Hand auf den freien Stuhl ihm gegenüber, als wäre ich der Gast in meinem Haus. Seufzend lasse ich mich darauf nieder.
»Du solltest fragen, wie viele.« Er schenkt mir ein Eier-Schinken-Lächeln, nickt wissend.
»Du bist in Ordnung. Auch wenn du dich ausdrückst, als hätte dich das letzte Jahrhundert ausgekotzt. Muss wohl den Frauen gefallen.« Er kaut geräuschvoll und ich betrachte ihn mit einer gewissen Skepsis. »Apropos. Lässt du jemanden zurück? Eine Freundin? Frau? Affäre, pardon, Geliebte ? Nein?«
Immer noch schüttle ich den Kopf. Dieses Kapitel habe ich schon vor langer Zeit abgehakt. Zwar ist mir bewusst, dass auch ich nicht jünger werde, dennoch weigere ich mich dem Irrglauben hinzugeben, dass mit beinahe Mitte dreißig der Zug der Ehe endgültig abgefahren ist.
Er holt sich gierig
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