KALTHERZ
Behinderte können selten reko n struieren, wann genau etwas stattgefunden hat. Sie erzählen Ihnen jetzt etwas und in zehn Minuten eine gänzlich andere Version der Geschichte.“
„Gut, Herr Knab, das werde ich bei meiner Befragung berücksichtigen. Aber könnten Sie die B e wohner trotzdem bitten, morgen Vormittag im Wohnheim zu bleiben? Ich bin dann so gegen 11 Uhr wi e der hier.“
„Okay, wenn Sie glauben, das bringt was...“, antwortete er mürrisch. „Ich frage mich nach wie vor, was Sie eigen t lich finden wollen.“
„Wir sehen uns dann morgen.“ Katja stand auf, sie wol l te endlich nach Hause.
„Ich begleite Sie hinaus.“ Dagmar Pohl stand schon an der Tür. Katja verabschiedete sich von Gertrud Wagner und Magnus Knab. Sie wunderte sich erneut, wie eine so massige Frau einen so schla f fen Händedruck haben konnte. Dann folgte sie Dagmar Pohl nach draußen. Es würde wi e der eine kalte Nacht werden. Sie zog ihre Jacke enger z u sammen, Mantel und Stirnband hatte sie der Einfachheit halber im Auto gelassen.
„Es tut mir sehr leid um Lothar, das war ein netter Kerl“, sagte Dagmar Pohl leise, gab ihr die Hand und ging zurück ins Wohnheim. Niemand hatte das bisher gesagt.
Kapitel 4
Wenn ich über den Tod nachdenke, denke ich an die Tode von den anderen. Von denen, die mit mir im Wohnheim gelebt haben. Ich will nicht sterben. Ich will erst ein alter Mann werden, dann in den Sarg kommen und nach Bornheim in der Rat-Beil-Straße auf den Friedhof. Dann will ich ins Grab kommen, begraben werden und eine Weile in der Erde bleiben. Dann will ich in den Himmel kommen und da mein Leben weiter machen. Ich will da oben leuchten wie ein Satelit. Am Tag will ich dann die Sonne b e grüßen und wenn abends der Mond kommt und sagt, ich bin schon da, dann begrüße ich den Mond.
Er wollte malen, aber er konnte nicht, ihm war kalt. Er glitt durch die Tür des Nebenzimmers, stand mitten im Zimmer in der Dunkelheit, die Arme hingen herab. Der helle Fensterrahmen zeichnete sich g e gen den dunklen Himmel ab. Er hob die Hand und zeichnete das Fenster in der Luft nach, erst die äußeren Umrisse, dann das Fenste r kreuz, dann begann er wieder von vorne. Nach einer Weile setzte er sich an den kleinen Holzschreibtisch am Fenster. Nach und nach zog er die Schubladen auf. Aus der unter s ten nahm er ein DIN A 5-Blatt heraus, b e trachtete es lange, rollte es dann sorgfältig zusammen und schob es in die Hemdtasche unter seinem Pullover. Dann wandte er sich wieder der Tür zu. Es blitzte im Türrahmen, er schloss e r schrocken die Augen. Stefan wandte sich ab und ging den Flur en t lang.
Kapitel 5
Der Fernseher lief, als Katja die Wohnungstür au f schloss; Sportprogramm, wie sich unschwer der Geräusc h kulisse entnehmen ließ. Sie ging zu Jochen ins Woh n zimmer, er hatte es sich in seinem Ledersessel bequem g e macht, die langen Beine lagen mitsamt den Schuhen auf dem Tisch. Katja beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss. Während er ihren Kuss erwiderte, schob er sie sanft zur Seite. „Gleich Schatz, lass mich bitte gerade noch die Endphase des Sk i rennens sehen, es geht nicht mehr lange. Wieso bist du so spät he u te?“ Er wirkte schon wieder geistesabwesend. Sie spürte wie ihre Laune sank. „Hättest du nicht schon mal was zu essen vorbereiten können?“, fragte sie ärge r licher als beabsichtigt.
„Na das ist ja eine Begrüßung. Ich bin doch auch erst seit Kurzem zu Hause, und die paar Minuten Sport wirst du mir nach einem arbeitsreichen Tag ja wohl gönnen?“ J o chen zog die Augenbrauen z u sammen und wandte sich wieder dem Gerät zu.
„Meinst du mein Tag war weniger arbeitsintensiv?“
Katja holte tief Luft und ging in die Küche. Nach einer Weile kam er zu ihr.
„Ist irgendwas schiefgelaufen oder wieso hast du so miese Laune?“
„Mir macht der neue Fall ziemliche Kopfschmerzen. Wenn es übe r haupt ein Fall ist“, sagte sie zweifelnd. Sie hatten am Mittag mi t einander telefoniert und Katja hatte ihm kurz von Lothar Meyer erzählt. Sie schnitt Tomaten auf und holte Mozzarrella aus dem Kühlschrank.
„Eben, du weißt doch noch gar nicht, ob es wirklich ein Fall ist. Mach es dir doch nicht immer schwerer als u n bedingt notwendig“, antwortete Jochen. Er nahm die Te e tasse, die Katja ihm hingestellt hatte, und setzte sich an den großen Holztisch in der Küche, den sie beide au s gesucht hatten, weil er genügend
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