KALTHERZ
werde ich die Akte nicht schließen.“
„Wenn du meinst, dass du das Stemmler klarmachen kannst...“, antwortete er g e dehnt und wandte sich seinem Computer zu.
Ihre Unsicherheit machte sich wieder breit. Sie schaute auf die Uhr. Es wurde Zeit, sich auf den Weg ins Jakob-Rohmann-Haus zu m a chen. Sie brauchte Antworten.
Kapitel 3
Um 18 Uhr war sie wieder im Wohnheim in Sachse n hausen. Die Tür wurde wie mittags durch das dicke Lede r band daran gehindert, ins Schloss zu fallen. Katja stieß sie auf, sie wollte als Erstes zu Magnus Knab ins Büro gehen, da sich seine Mitarbeiter dort einfinden sollten. Aber schon hinter der Tür kam eine kleine dickliche Frau mit dunklen hal b langen Haaren, kleinen dunklen Augen und einer Knubbelnase auf sie zu. Freundlich streckte sie ihr eine kleine, ebenfalls knubbelige Hand entgegen. „Hallo, Tag, ich heiße Lena.“ Ihre Stimme hatte einen eigenartigen, fast wehleidigen Singsang. Sie sah dabei aber durchaus ve r gnügt und zufrieden aus. Weitere Bewohner kamen auf sie zu, lachten, streckten ihr die Hand entgegen, fragten: „Wie heißt du? Wer bist du?“, und binnen kurzem war sie u m ringt von einer Gruppe, die sie neugierig aber ohne jegliche Scheu beäugte. Etwas blitzte auf und sie bemerkte einen jungen Mann mit einem Fotoapparat, der eifrig fot o grafierte. Er war groß und schlank, und sie fragte sich, ob es ein Aushilf s betreuer sein könnte.
„Wann du geboren?“, machte sich Lena wieder mit ihrer merkwürdigen Stimme bemerkbar. „Wann du g e boren?“, wiederholte sie noch mal.
In diesem Moment kam Magnus Knab aus seinem Büro, bahnte sich einen Weg durch die Gruppe und wollte sie mit in sein Büro nehmen. Aber Lena gab so leicht nicht auf. „Wann du g e boren?“
„Sie will das Datum, wann Sie geboren sind. Sie sagt I h nen dann den Tag Ihrer Geburt. Sie können ihr auch ein x-beliebiges Datum nennen, sie sagt Ihnen, was das für ein Tag war.“
Katja schaute ihn ungläubig an. „Sie denkt sich die Tage aus?“, fragte sie ihn.
„Nein, die Tage stimmen. Alle. Sie nennt zu jedem D a tum den genauen Tag. Wir haben das mal mit dem Comp u ter überprüft. Sagen Sie ihr das Geburtsdatum und prüfen Sie es nach.“
Katja nannte den 15. Januar 1977.
„Das war ein Samstag“, kam es wie aus der Pistole g e schossen.
Der junge Mann machte wieder ein Foto.
„Das ist Stefan Hartmann, unser Hobbyfotograf. Einer der Freunde von Lothar Meyer.“ Magnus Knab zeigte auf den jungen Mann. „Er fot o grafiert alles und jeden und den ganzen lieben langen Tag. Er g e hört auch zu unserer Künstlergruppe, ist immer ein bis s chen ernst.“ Er grinste zu ihm hinüber, aber Stefan Har t mann wandte sich mit ernstem Gesicht ab.
„Aber wir sollten jetzt vielleicht erst mal in mein Büro gehen. Die Ko l leginnen warten.“
Stefan Hartmann musterte Katja und zückte dann wi e der seine Kamera. Katja folgte Magnus Knab in sein Büro. Die junge Frau rief noch mal „ein Samstag“ und winkte ihr zu, ein anderer zupfte an ihrem Ärmel und ve r suchte sie festz u halten. „Schöne Frau“, schmunzelte er und warf ihr eine Kusshand zu. Einige der B e hinderten hatten das Down-Syndrom, eine spezielle Genmutation – Katja hatte meh r fach darüber gelesen -, andere sahen ganz normal aus und wären im Straßenbild überhaupt nicht au f gefallen. So hatte sich Katja das Wohnheim und seine B e wohner nicht vorgestellt. Sie war überrascht über die fröhliche Atm o sphäre. Aber was hatte sie sich überhaupt vo r gestellt? Was hatte sie erwartet?
In seinem Büro angekommen, stellte Magnus Knab Katja die beiden Betreuerinnen vor, die im Jakob-Rohmann-Haus zum festangestellten Betreuerstab g e hörten. Bei Engpässen halfen auch schon mal Zivildiens t leistende aus, wie Magnus Knab erwähnte.
Zwei Frauen standen auf, die unterschie d licher nicht hätten sein können. „Das ist Gertrud Wagner“, stellte Magnus Knab ihr eine Frau in den Fünfzigern vor. Sie hatte einen weichen Händedruck, die Haut wirkte schlaff. Ihr Gesicht e r innerte Katja an eine gutmütige Bulldogge, es war grob geschnitten, die kleinen Augen hatten ein trübes Wa s serblau, die dünnen asc h blonden Haare umrahmten kraftlos das Gesicht, der Körperbau erinnerte an einen schlecht g e bauten Mann, groß, grob und kantig, aber dennoch mit schlaffer Haut und etlichen Kilo Übergewicht. Katja glau b te eine leichte Alkoholfahne zu riechen. Aber vielleicht tat sie der
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