Kameraden: Die Wehrmacht von innen (German Edition)
dieser Akten offenbart merkliche Differenzen: Die Italiener interpretierten ihre Rolle als Soldaten anders als die Deutschen. [1] Im Vergleich zu ihren Kameraden aus der Wehrmacht identifizierten sich die italienischen Soldaten deutlich weniger mit ihrem Kriegseinsatz. Und sie identifizierten sich auch deutlich weniger mit militärischen Werten wie Tapferkeit, Einsatzwillen und Opferbereitschaft – Tugenden, die in der Wehrmacht im Allgemeinen kaum hinterfragt wurden. Nicht unwahrscheinlich, dass diese Differenzen mit dazu beitrugen, dass die italienische Armee der Wehrmacht auch im Hinblick auf ihre Kampfkraft deutlich nachstand.
Selbst im Kern des Krieges, in der Performance auf dem Schlachtfeld, konnten kulturelle Einflüsse also wohl einen Unterschied machen. In die gleiche Richtung weisen die Besonderheiten in der Gewaltkultur auf dem Balkan und in der Sowjetunion. Dort existierten bestimmte Gewaltpraktiken, die in keiner westlichen Armee üblich waren: Vor allem gilt dies für die rituellen Verstümmelungen von gefangenen oder getöteten Feinden, die von hier auch aus früheren und späteren Kriegen belegt sind. [2] Speziell in der Roten Armee herrschte schon gegenüber den eigenen Soldaten ein enormes Maß an Gewaltbereitschaft. An das Terrorregime in ihrem Inneren und ihre Rücksichtslosigkeit gegenüber eigenen Verlusten reichte selbst das nationalsozialistische Militär nicht heran. Und dass sich die Rotarmisten im Kampf anders verhielten, als es die Soldaten der Wehrmacht von sich und den meisten anderen Kriegsgegnern gewohnt waren, hätte wohl kaum ein deutscher Ostfrontkämpfer jemals bestritten.
In ihrem Fanatismus im Kampf übertraf wohl keine Armee die Streitkräfte des kaiserlichen Japans. Die bekannten Statistiken über den Krieg im Pazifik sagen alles. Denn ihre US-amerikanischen Gegner nahmen insgesamt nur unverhältnismäßig wenige japanische Soldaten gefangen. [3] Dies lag zwar auch an der rassistischen Rücksichtslosigkeit, mit der die US-Truppen hier vorgingen. Schließlich nahmen sich die Amerikaner in ungezählten Fällen das Recht, »keine Gefangenen« zu machen. Mindestens genauso entscheidend aber waren die kulturellen Prämissen, unter denen die Japaner kämpften. Die Erwartung, in der Gefangenschaft misshandelt und ermordet zu werden, gehörte schon länger zu ihren Vorannahmen über das Wesen des Krieges – sie kannten diese Praxis auch aus früheren Konflikten im asiatischen Raum. [4] Und in ihrer Gesellschaft galt es als untilgbare Schande, als Soldat auf dem Schlachtfeld lebend dem Feind in die Hände zu fallen. Wer nicht bis zum letzten Atemzug kämpfte und sich sogar ergab, wurde geächtet, der ganzen Familie drohte Ehrverlust. [5] Die japanischen Soldaten kämpften im Zweiten Weltkrieg mit unvergleichlichem Todesmut, und viele von ihnen zogen der Gefangenschaft sogar den Suizid vor – ohne ihre spezifische Mentalität ließe sich dies gewiss nicht erklären. [6] Auch dieses Beispiel zeigt: Kampfverhalten ist nicht universell und zeitlos, sondern immer auch kulturell und historisch geprägt. Der Krieg schuf zwar gewiss seine eigenen Gesetzmäßigkeiten, und an der Front galt vieles als normal, was im Zivilleben tabu war. Beide Sphären waren dennoch nicht vollständig voneinander abgekoppelt. Die Soldaten blieben trotz allem Geschöpfe der Gesellschaften, aus denen sie stammten.
Wenn es einen universellen Kriegsstil gäbe, wären die Kämpfe im Zweiten Weltkrieg an allen Fronten in etwa gleich abgelaufen – doch so war es bekanntlich nicht. An der Westfront und in Afrika wurde anders gekämpft als an der Ostfront, auf dem Balkan oder im Pazifik. Für diese Unterschiede gab es gewiss auch Gründe, die nicht beeinflussbar waren, so etwa die Geografie des Schauplatzes oder die klimatischen Bedingungen, unter denen gekämpft wurde. Alles andere war menschengemacht. Dass die Gewalt auf bestimmten Schauplätzen heftiger eskalierte als andernorts, lag zum einen an den Absichten der Kriegführenden – so wie es von deutscher Seite für den Angriff auf die Sowjetunion geplant worden war. Zum anderen resultierte es aber auch aus dem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kampfstile und Gewaltkulturen, in deren Interaktion die Entgrenzung der Gewalt quasi vorprogrammiert war. So oder so erweist sich, dass der Topos »Krieg ist Krieg« nicht zutrifft.
Unterhalb der nationalen Ebene konstituierte die direkte militärische Umgebung jedes Soldaten eine weitere Dimension der Divergenz:
Weitere Kostenlose Bücher