Kameraden: Die Wehrmacht von innen (German Edition)
aber auch im Zivilen das Zusammenleben bestimmen. Kurzum: Die Soldaten des Zweiten Weltkriegs verbanden etliche Gemeinsamkeiten, und ihr Alltag im Krieg wies viele Parallelen auf. Doch die basalen Ähnlichkeiten dürfen nicht über die Unterschiede zwischen ihnen hinwegtäuschen.
Die historisch-kulturelle Dimension des Krieges generierte sowohl Konvergenzen als auch Divergenzen. Die Soldaten der verschiedenen Kriegsparteien kamen aus jeweils andersartigen Gesellschaften mit jeweils eigenen normativen Rahmungen – zwischen denen jedoch Überschneidungen bestanden. Die mentalen Voraussetzungen der am Zweiten Weltkrieg beteiligten Armeen waren sich in vielerlei Hinsicht nicht unähnlich. Nationalismus und Rassismus hatten seit dem 19. Jahrhundert fast überall Einzug gehalten, im nationalsozialistischen »Dritten Reich« freilich in extremer Form. Auch der Militarismus war grundsätzlich kein deutsches Spezifikum – den Kult um Soldaten, Waffentaten und maskuline Härte gab und gibt es auch in anderen Ländern. Die männliche Matrix von Militär und Krieg beruhte hier wie dort auf vergleichbaren Grundmustern. Nicht nur die Deutschen, sondern auch ihre Verbündeten und Gegner wollten gewiss als gute Kämpfer, harte Kerle und echte Männer gelten. Gleichwohl: Vermutlich konstituierte jede nationale Militärkultur eine eigene graduelle Variante dieser Grundmuster.
Welche Mentalitäten in den Streitkräften des »Dritten Reichs« vorherrschten, hat dieses Buch verdeutlicht. In der Wehrmacht waren Nationalismus und Rassismus, Militarismus, Kameradschafts- und Härtekult überaus stark ausgeprägt. Ihr martialisches Ethos suchte seinesgleichen: Kampf, Einsatzwille, Pflichterfüllung und Opfermut standen als Werte für sich, und dies wahrscheinlich auch mit größerer Selbstverständlichkeit als in anderen Armeen. Verkörpert wurde dies insbesondere von jenen eingefleischten Kriegern, die längst aus eigenem Antrieb kämpften. Wie viele solcher intrinsisch motivierten Kämpfer eine Armee in ihren Reihen hatte, zählte ebenfalls zu den Strukturmerkmalen, die ihr historisches Profil prägten. In der Wehrmacht war ihr Anteil zweifellos hoch – nicht nur aufgrund der militaristischen Tradition der Zivilgesellschaft, sondern auch wegen der mehrjährigen Fronteinsätze, in denen dieser harte Kern der Krieger heranreifen konnte. Dass es ihn gab, trug wesentlich dazu bei, dass die Wehrmacht so lange weiterkämpfen konnte – auch dann noch, als der Krieg längst verloren war.
Zum historischen Gepräge der Wehrmacht gehörte außerdem, dass sie die Armee einer skrupellosen Diktatur mit totalitärer Ideologie war. Eine bis ins letzte Glied ideologisierte Weltanschauungstruppe war sie deshalb freilich nicht. Die Abhörprotokolle aus Fort Hunt haben gezeigt, dass viele einfache Soldaten eher einen geringen Politisierungsgrad aufwiesen. Dies bedeutet wiederum nicht, dass Politik und Ideologie überhaupt keinen Einfluss auf sie ausübten. Und dass sie wenig über solche Themen sprachen, heißt nicht, dass sie keine Meinung dazu besaßen. Die Mehrheit stand bis weit ins letzte Kriegsjahr hinter Hitler, und für die meisten von ihnen war es selbstverständlich, sich im Krieg für die Nation einzusetzen. Loyalität war für sie die Normalität, und deshalb konnten sie sich auch mit ihrer Rolle als Soldaten identifizieren. Ihre Wahrnehmungsmuster und Feindbilder waren zum Teil durchaus ideologisch eingefärbt. Dem Klischee von fanatischen Weltanschauungskriegern entsprach indes wohl nur eine kleine Minderheit. Eine durch und durch politische Armee war die Wehrmacht nicht, aber sie besaß einen politischen Hintergrund und sie war an nicht wenigen Stellen mit politischen Soldaten durchsetzt.
Inwieweit sich die Mentalitäten der deutschen Truppen von denen der übrigen Kriegsparteien abhoben, bedürfte weiterführender Forschung. Bislang liegen hierzu erst wenige Befunde vor. Denn für einen systematischen Vergleich, was den deutschen Landser vom amerikanischen GI oder dem durchschnittlichen Rotarmisten unterschied, fehlt es weiterhin an einer Quellengrundlage. Ideal wären zusätzliche Quellenbestände wie die Akten aus Fort Hunt, dann aber über die Soldaten der Alliierten. Doch solche Unterlagen stehen nicht zur Verfügung. Bis auf eine Ausnahme: die Abhörprotokolle über mehrere Hundert italienische Soldaten, die während des Zweiten Weltkriegs in den britischen Vernehmungslagern belauscht wurden. Die vor Kurzem erfolgte Auswertung
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