Kammerflimmern
Mensch seiner Arbeit nachgegangen war oder dass nach seinem Verschwinden jemand überaus gewissenhaft aufgeräumt hatte. Auf dem Schreibtisch in der Mitte des Raumes stand ein einsames Telefon, und es gab weder einen Computer noch Tastatur oder Monitor. In einem Aktenkarussell sah Lenz ein paar Ordner, aber das Büro eines Justiziars hatte er sich ganz anders vorgestellt.
Er wandte sich an Frommert.
»Hatte Herr Goldberg eine Sekretärin?«
»Grundsätzlich ja, aber die Dame ist schon seit dem Sommer erkrankt. Deshalb hat er sich in der letzten Zeit selbst um die Dinge gekümmert, für die sonst die Sekretärin zuständig ist. Außerdem hat er meine Sekretärin oder die Dr. Rolls, des Hauptgeschäftsführers, für dringende Arbeiten überlassen bekommen.«
»Ist Dr. Roll im Haus?«
»Nein, Herr Dr. Roll ist auf einer Tagung in Frankfurt.«
»Wie heißt Goldbergs Sekretärin?«
Frommert nannte den Polizisten ihren Namen.
Seine Haltung und sein Gesichtsausdruck hatten jetzt nichts mehr von der Bestürzung, mit der er die Nachricht vom Tod des Justiziars aufgenommen hatte, und Lenz bekam immer mehr das Gefühl, dass er den Mann nicht leiden konnte.
Hain, dessen Hände schon in Einweghandschuhen steckten, zog eine Schublade des Schreibtisches nach der anderen auf, immer mit dem gleichen Ergebnis: Alle waren leer.
Er hob den Kopf und sah Frommert fragend an.
»Sind Sie sicher, dass Herr Goldberg in diesem Raum gearbeitet hat? Es deutet so gar nichts darauf hin, dass hier ein Mensch seiner Arbeit nachgegangen ist.«
Der IHK-Mitarbeiter verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen.
»Was immer Sie damit sagen oder auch nicht sagen wollen, ist falsch. Wolfgang Goldberg hat natürlich in diesem Büro gearbeitet.«
»Wurde Herr Goldberg nicht vermisst? Schließlich haben Sie ihn am Dienstag zum letzten Mal gesehen.«
Frommert war nun sichtbar genervt und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Er wollte bis zum Wochenende in Lettland bleiben, deshalb hat sich hier im Haus sicher niemand Gedanken gemacht.«
Lenz nahm einen Stift aus der Innentasche seiner Jacke und drückte die Wahlwiederholungstaste des Telefons. Auf dem Display erschien die Nummer eines Mobilfunkanschlusses.
»Schreib die Nummer mal bitte auf, Thilo.«
»Gerne. Aber wir können doch wahrscheinlich noch viel mehr aus dem Kasten rausholen«, antwortete Hain und fing an, sich mit dem Apparat zu beschäftigen. Drei Minuten später hatte er eine Aufstellung der jeweils letzten zehn Anrufer und der Anschlüsse, die Goldberg gewählt hatte, notiert.
Lenz drückte Frommert eine Visitenkarte in die Hand und ging langsam Richtung Tür.
»Für den Moment ist das alles, Herr Frommert. Sollte Ihnen noch etwas einfallen, das für uns von Bedeutung sein könnte, können Sie mich drüben im Präsidium erreichen. Wir werden jetzt den Raum versiegeln, um sicherzustellen, dass bis zum Eintreffen der Spurensicherung hier nichts verändert wird.«
Als sie damit fertig waren, brachte Frommert die Polizisten zum Fahrstuhl und verabschiedete sie kühl.
»Reizender Kollege«, bemerkte Hain.
»Stimmt«, antwortete Lenz und wischte sich die feuchten Hände im Innern seiner Jackentaschen ab.
»Ein echter Unsympath. Allerdings kamen mir seine anfängliche Bestürzung etwas zu dick aufgetragen und sein Gemütswandel danach etwas zu flott vor. Und in dem Büro hat jemand so überzeugend für Ordnung gesorgt, dass Heini und seine Jungs wahrscheinlich auf dem Schreibtisch einen Blinddarm entfernen könnten. Jetzt lassen wir als Erstes die Nummern, die du notiert hast, durch unser System laufen, und dann sehen wir weiter.«
»Du meinst damit, dass ich das mache.«
»Exakt. Wenn du schon dabei bist, kannst du auch gleich nach seiner Verwandtschaft in der Schwalm schauen und sie über das Ableben ihres Familienmitglieds informieren. Sag bitte Heini und seinen Jungs Bescheid, vielleicht finden sie ja doch noch irgendwas Verwertbares in dem Büro. Ich gehe bei Ludger vorbei und informiere ihn über unsere Ermittlungsergebnisse.«
»Und kümmerst dich nebenbei um die Fahndung nach Goldbergs Wagen?«
Lenz hob drohend eine Augenbraue und fing dann an zu schmunzeln.
»Werd bloß nicht frech, Kleiner. Das schaffst du ganz bestimmt auch noch.« Er klopfte seinem Kollegen anerkennend auf die Schulter. »Aber schön, dass du daran gedacht hast.«
5
»Komische Sache«, meinte Ludger Brandt, Kriminalrat und in seiner Funktion als Leiter der regionalen Kriminalinspektion der
Weitere Kostenlose Bücher