Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)
Lassen
Sie uns nächstes Mal wieder in Ihrer Detektei zusammenkommen. Ich fühle mich wohl
auf Ihrem kleinen Filmset. Die Atmosphäre verleiht meinem unspektakulären Auftrag
Bedeutung und Dramatik. Ich werde mit dem Gefühl nach Hause gehen, fortan Teil eines
aufregenden und gefährlichen Spiels zu sein. Etwas gewagt zu haben. Ach,
übrigens: Als ich Ihr Büro betrat, vorn auf dem Firmenschild, da stand noch ein
zweiter Name, wenn ich mich recht erinnere …
Detektiv: Sie
meinen den Autor, Raoul Rockwell?
Klient: Richtig,
Rockwell. Er nutzt dasselbe Büro wie Sie?
Detektiv: Nein,
wir haben die Räume hier gemeinschaftlich angemietet. Er nur aus steuerlichen Gründen,
aber verraten Sie das bitte nicht dem Finanzamt!
Klient: Rockwell.
Nie gehört von diesem Autor. Was macht er? Belletristik? Sachbuch?
Detektiv: Thriller.
Einen hat er erst geschrieben, um genau zu sein. ›Amok‹ ist der Titel. Spielt in
Darmstadt. Wenn Sie Interesse haben, ich habe zufällig noch ein Exemplar in der
Schublade. Ich glaube, er hat es sogar signiert.
Klient: Oh,
danke! Das ist nett von Ihnen. Bin sehr gespannt. Der wird mir die Wartezeit bis
zu unserem nächsten Treffen verkürzen.
2
Klient: Ja,
das ist er, der Zweite von rechts in dieser Gruppe mit den schwarz Gekleideten.
Woher haben Sie das Foto?
Detektiv: Vom
Webauftritt eines bundesweiten Antifa-Netzwerkes. Die Aufnahme wurde vor einem Jahr
bei einem Naziaufmarsch in Dresden geschossen, zu dem Welders und seine Gesinnungsgenossen
eigens aus Darmstadt angereist sind. Die Gruppe nennt sich ›Darmstädter Kameraden‹.
Klient: Hm.
Die Banner und Plakate sehen alle so modern aus, nach Graffiti und Jugendkultur.
Ich dachte, diese Neonazis schmücken sich mit Runen, Reichskriegsflaggen, Wehrmachtssymbolen
und diesem ganzen Kram.
Detektiv: Hat
mich anfangs auch gewundert. Die gehören zu einer relativ neuen Generation von Neonazis,
den ›Nationalen Autonomen‹, und grenzen sich bewusst von der alten Garde ab. Kleine,
schlagkräftige Gruppen mit geringem Organisationsgrad, gibt’s heute in jeder größeren
deutschen Stadt. Die treten so auf, dass sie auf den ersten Blick keiner von irgendwelchen
Punks oder Linksautonomen unterscheiden kann. Und Allergien gegen Anglizismen wie
bei der alten Stahlhelmfraktion sind denen ebenso fremd. Diese Typen sind Wölfe
im Schafspelz. Welders ist informeller Anführer der Gruppe. Ein paar von den Gesellen
kommen auch aus den Nachbargemeinden. Die versuchen hier seit 2008, eine rechte
Szene aufzubauen. Mit dem üblichen Programm: Flugblätter, Aufkleber, Hakenkreuzschmierereien,
Aktionen bei Fußballspielen am Böllenfalltor.
Klient: Und?
Haben Sie Kontakt mit seinen Kameraden aufgenommen? Die wissen sicher, wo Welders
abgetaucht ist.
Detektiv: Was
schlagen Sie vor? Soll ich einfach hingehen und die fragen? Welders wird seine Gründe
haben abzutauchen. Und seine Spießgesellen werden ganz sicher keinem dahergelaufenen
Schnüffler verraten, wo er steckt.
Klient: Aber
Sie könnten diese Kameradschaft infiltrieren. Die treffen sich doch sicher regelmäßig
in irgendeiner Kneipe hier in Darmstadt. Sie setzen sich an die Theke, während die
Typen an ihrem Stammtisch sitzen, lassen ab und an mal ein paar ausländerfeindliche
Bemerkungen fallen, werden irgendwann zum Bier eingeladen, und schon sitzen Sie
mitten drin im braunen Netzwerk. Ich wäre auch bereit, über eine kleine Aufstockung
Ihres Honorars zu sprechen. Eine Gefahrenzulage, wenn Sie so wollen.
Detektiv: Ihre
Fantasie geht mit Ihnen durch. Ich soll als V-Mann die rechte Szene infiltrieren?
Darmstadt ist ein Dorf. Mich kennt hier ein Haufen Leute. Ich habe einen Ruf zu
verlieren.
Klient: Sind
Sie sicher?
Detektiv: Wie
meinen Sie das?
Klient: Na,
das mit dem guten Ruf. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich habe mich ein wenig
über Sie informiert, Herr Rünz. Ich bin da auf einen Bericht in der Darmstädter
Allgemeinen gestoßen, mit einem Foto, dass Sie halb nackt in der Calla des Darmstadtiums
zeigt.
Detektiv: Wenn
es bei einem Einsatz mal brenzlig wurde, konnte ich nicht immer auf perfekte Garderobe
achten. Habe den Fall übrigens gelöst, damals.
Klient: Wie
dem auch sei – was ist mit Welders’ Mutter? Haben Sie sie kontaktiert?
Detektiv: Er
hat sie zehn Tage nach seiner letzten Therapiestunde bei Ihnen besucht und ihr erzählt,
er müsse für ein paar Tage verreisen, irgendwas Wichtiges
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