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Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)

Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)

Titel: Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
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schwadronieren,
räsonierte über Werte wie Treue, Mut und Kameradschaft, die Bedeutung von Nation
und Vaterland, welchen Bedrohungen sie – angeblich – von innen und außen ausgesetzt
sind.
     
    Detektiv: Ein
Nazi? Hat er Glatze und Springerstiefel?
     
    Klient: Er trat
äußerlich vollkommen unauffällig auf: halblange Haare, kariertes Hemd, verwaschene
Jeans, Turnschuhe, der Allerweltslook, den Sie heute auf jedem Unicampus finden.
Seine Äußerungen standen in gewissem Widerspruch zu diesem Auftreten, aber als Nazi
hätte ich ihn in dieser Phase noch nicht bezeichnet. Sehr konservativ, ja. Aber
kein Nazi. Doch irgendwann tauchten xenophobe Motive auf, und immer häufiger.
     
    Detektiv: Xeno…
was?
     
    Klient: Ablehnende
Haltungen gegenüber allem, was ihm fremd erschien. Hier mal eine abschätzige Bemerkung
über den italienischen Pizzabäcker um die Ecke, dort eine kleine Schmähung seines
türkischen Sachbearbeiters bei der Arbeitsagentur oder ein Seitenhieb auf schwule
Politiker. Oft fielen diese Bemerkungen in Nebensätzen. Und immer machte er danach
eine kleine Pause.
     
    Detektiv: Er
wollte Ihre Reaktion testen.
     
    Klient: Genau.
    Detektiv: Und.
Haben Sie ihm widersprochen?
     
    Klient: Natürlich
nicht, ich bin Analytiker. Wenn ich seine Einstellung moralisch bewertet oder versucht
hätte, ihn zu belehren, wäre die Analyse zum Scheitern verurteilt gewesen. Nein
– durch diesen braunen Sermon musste ich waten, um zum Kern seines Problems vorzustoßen.
Da ich ihm nicht widersprach, wurde er von Stunde zu Stunde mutiger, monologisierte
endlos. Nach wenigen Sitzungen war mir klar, dass ich einen dogmatischen und fanatischen
Neonazi vor mir auf der Couch liegen hatte. Manche Therapiestunden glichen fünfzigminütigen
Hasstiraden, ich kam mir manchmal vor wie auf dem Reichsparteitag. Ich habe in den
letzten Monaten unfreiwillig einen detaillierten Einblick in die gesamte paranoide
rechtsradikale Vorstellungswelt bekommen, von der Verklärung des Dritten Reiches
über die Leugnung des Holocaust bis zum umfangreichen Spektrum antisemitischer Stereotypen,
Ressentiments und Wahnvorstellungen – von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung
bis zu den Protokollen der Weisen von Zion.
     
    Detektiv: Ich
hoffe, er hat Sie nicht überzeugt, Herr Lakan.
     
    Klient: Überzeugt?
Ja. Davon, dass er und seine Gesinnungsgenossen wirklich kranke Menschen sind.
     
    Detektiv: Aber
da haben Sie doch die Gründe für sein gespaltenes Verhältnis zum Spenderherz. Er
konnte ja nicht wissen, ob es rassisch von einwandfreier Herkunft war. Ob es nicht
von einem Türken, einem Afrikaner oder gar einem Juden stammt.
     
    Klient: Genau! Der schlagende
Vorteil rechtsradikaler Gesinnung ist ja die beneidenswerte Fähigkeit, das Böse
und Schlechte immer im anderen, doch nie in sich selbst zu sehen. Aber einem fremden
Herzen in Ihrem Brustkorb können Sie nicht einfach das Asylgesuch ablehnen, es mit
ein paar Tritten über die Grenze treiben oder ihm den Krieg erklären. Sie müssen sich mit ihm arrangieren.
     
    Detektiv: Er
muss wild darauf gewesen sein, die Identität des Spenders herauszufinden.
     
    Klient: Er hat
mir von seinen Bemühungen diesbezüglich wenig erzählt. Aber ich vermute, dass er
alles dafür unternommen hat. Er hatte Phasen, in denen ich fürchtete, er würde in
die Niederlande fahren und in der Zentrale von ›InterTransplant‹ eine Bombe zünden,
weil sie ihm nicht weiterhalfen. Dann wieder, in seinen manischen Stimmungen, redete
er sich ein, seine neue Pumpe funktioniere so prächtig – sie könne unmöglich von
rassisch minderwertiger Herkunft sein. Er kam sich dann vor wie eine nordische Gottheit.
    Detektiv: Warum
lehnten Sie die weitere Behandlung nicht ab? Diagnose: nicht therapierbar.
     
    Klient: Ich habe mit
dem Gedanken gespielt. Einerseits war ich abgestoßen und angeekelt von dieser Borniertheit,
diesem Hass und dieser Unfähigkeit zur Selbstkritik. Andererseits: Wissen Sie, wie
oft Sie in einem Berufsleben als Analytiker die Chance bekommen, mit einem Nazi
zu arbeiten, der aufgrund seiner körperlichen Disposition gezwungen ist,
sich mit den inneren, unbewussten Motiven seiner Weltanschauung auseinanderzusetzen?
     
    Detektiv: Sie
denken, Sie können ihn heilen? Das nenne ich Hybris. Sie sind heiß auf den Nobelpreis!
     
    Klient: Ich
gebe zu, auch ich bin ehrgeizig und eitel. Und ich halte einen Erfolg nach wie vor
nicht für ausgeschlossen.
     
    Detektiv: Und
welche Rolle spiele

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