Kampf der Gefuehle
Zurückhaltung. Sie wollte es einfach nicht, so sehr der Gedanke sie auch in zitternde Erregung versetzen mochte. Deshalb konzentrierte sie sich entschlossen auf den Brief.
Eine Angelegenheit von schwerwiegender Bedeutung.
Was meinte Sascha damit? Wenn die Sache wirklich so dringend war, wäre er doch wohl sicher zu ihr gekommen. Dass er von ihr erwartete, zu ihm zu gehen, war eine Zumutung.
In der Nacht zuvor war sie zu Gavin gegangen, und wozu das geführt hatte, wusste sie nur allzu gut. Sie hob die Hand und rieb sich die schmerzenden Schläfen.
Nachdem die zwei sich wieder angezogen hatten, hatten sie den Übungsraum verlassen. An der Tür zu Ariadnes Schlafzimmer hatten sie sich getrennt, da sie das dringende Bedürfnis verspürte, sich selbst wieder in Ordnung zu bringen, sich das Haar zu bürsten, ihre Männerkleidung abzulegen, vor dem Zubettgehen ein Bad zu nehmen. Doch auch daran wollte sie nicht denken, genauso wenig wie an den Kuss, den er ihr auf die
Stirn gegeben hatte, oder an sein Lächeln, seine Verbeugung, den neckischen Ton seiner Stimme, als er etwas aus einem Gedicht zitiert hatte, bevor er sich zurückgezogen hatte, um sich zu seinem eigenen Zimmer zu begeben.
Sweetest love, I do not go,
For weariness of thee.
Nor in hope the world can show,
A fitter love for me; But since that I Must die at last, ,tis best,
To use myself in jest Thus by feign ‘d deaths to die.
Das stammte, wie sie glaubte, von dem unermüdlichen Schreiberling Donne. Aber was um alles in der Welt hatte er damit gemeint? Warum zitierte er ihr gegenüber ein Gedicht, wo sie so etwas doch schmerzvoll an ihres Bruders Liebe zur Poesie erinnern musste? Warum deklamierte er etwas, in dem von Tod die Rede war und davon, dass jemand seine Geliebte verließ?
Das Ganze war ihr ein Rätsel, und sie war auch nicht bereit anzunehmen, dass er sich tatsächlich als Liebenden sah. Die intimen Momente, die sie miteinander erlebt hatten, hatten nichts mit Liebe zu tun, auch wenn Ariadne sie wieder und wieder von neuem durchlebte.
Sie würde nicht mehr daran denken. Ganz gewiss nicht.
Und mit Sascha würde sie sich auch nicht treffen. Ihn zu ermutigen war sinnlos und vielleicht sogar ein wenig grausam. Dass er von der Gesellschaft geschnitten wurde, während er darauf wartete, dass sein Schiff abfuhr, hatte er sich selbst zuzuschreiben. Es war seine Entscheidung gewesen, heimtückisch und gegen alle Regeln des Duells auf Gavins Pferd einzustechen. Obwohl ihr seine Isolation leidtat, konnte sie das, was dazu geführt hatte, nicht billigen. Wenn er sich Hoffnungen machte, dass sie sich eines anderen besinnen und die Stadt mit ihm verlassen würde, dann würde er eine Enttäuschung erleben. Sie empfand keinerlei Sympathie mehr für ihn.
Außerdem hatte sie keine Ahnung, was hinsichtlich Gavins Pflege noch auf sie zukam. Obwohl er sich jetzt mit ziemlicher Sicherheit selbst rasieren konnte, mochte es sein, dass er Unterhaltung brauchte, einen Partner beim Kartenspiel oder beim Schach oder jemanden, der ihm etwas vorlas. Die in seiner Gesellschaft verbrachte Zeit war kostbar. Sie hatte ihren Plan nicht vergessen, hatte sich seit dem letzten Abend nicht wirklich verändert. Sie verfolgte nach wie vor einen ganz bestimmten Zweck, den sie nicht aus den Augen verlieren durfte.
Oh, aber wollte sie, dass Sascha hierherkam, wo er Gavin begegnen konnte? Was, wenn das Treffen zu einer weiteren Auseinandersetzung führte?
Vielleicht war es doch besser, wenn sie sich mit ihm traf. Der kleine Ausflug bot ihr die Möglichkeit, das Stadthaus ein Weilchen zu verlassen. Wenn sie sofort aufbrach, blieb ihr noch Zeit, bei der Schneiderin vorbeizugehen und sich zu erkundigen, ob ihre Trauerkleidung fertig war. Außerdem hatte sie dann ein bisschen mehr Zeit, um sich innerlich zu sammeln und zu überlegen, was sie sagen und wie sie sich verhalten würde, wenn sie Gavin wiedersah.
Sie beschloss, sich anzuziehen und loszugehen. Sofort. Alles andere konnte warten, bis sie zurückkehrte.
Als Ariadne Sascha erblickte, stand er stocksteif da und hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Er sah zu, wie die Legion vor dem Cabildo, dem Regierungsgebäude, auf der Place dArmes auf und ab marschierte. Es war erstaunlich, dass er keinen Vorwand gefunden hatte, um sich den hier exerzierenden Soldaten anzuschließen. Er wäre, dessen war sie ziemlich sicher, nicht der einzige Gentleman fremder Herkunft gewesen, der seine Dienste anbot.
»Wie ich sehe,
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