Kampf der Gefuehle
anfingen. Obwohl die Florette in ihren Händen weder so schwer noch so tödlich waren wie die bei dem Duell zwischen Sascha und Gavin benutzten Säbel, erinnerten sie Ariadne ständig daran, dass jener Kampf mit Blutvergießen geendet hatte. Unaufhörlich hatte sie den Moment vor Augen, da Saschas Klinge nach unten gesaust war und Gavin den Rücken aufgeschlitzt hatte. Sie hatte damit gerechnet, dass er enthauptet oder so verstümmelt werden würde, dass er sein Leben lang ein Krüppel blieb. Jede Bewegung, die er jetzt machte, jeder Ausfall musste ihm Schmerzen bereiten. Wie sollte es sonst sein?
Gleichwohl gebrach es ihm nicht an Kraft, das musste sie zugeben. Und trotzdem war er nicht der Alte. Seinem Timing fehlte die mühelose Koordination von Körper und Geist, die er zuvor an den Tag gelegt hatte. Seine Reaktionen waren langsamer, waren eher auf seinen Verstand als auf seinen Instinkt zurückzuführen. Er behielt seine Position so lange wie möglich bei und machte sich ihre Fehler nicht in dem Maße zunutze, wie er es gekonnt hätte. Er griff selten an, überließ es ihr, das Tempo zu bestimmen, während er sich darauf beschränkte, sich zu verteidigen.
Sie konnte losschlagen. Die Möglichkeit dazu war vorhanden. Sie waren allein, im Haus war alles still. Sie brauchte nur zum Angriff überzugehen und ihm mit der stumpfen Spitze ihres Floretts den Brustschutz aufzuschlitzen. Es war machbar.
Gavin würde sich auf gleiche Weise revanchieren, damit musste sie rechnen. Gleichwohl war die Chance, ihn zu besiegen, heute Abend geradezu einmalig und würde wahrscheinlich nie wiederkommen.
Doch es war unmöglich. Irgendetwas in ihr sträubte sich gegen diesen hinterhältigen Sieg. Ihn unter solchen Umständen zu besiegen verhieß keinerlei Genugtuung.
Ihn zu besiegen?
Sie hatte die Absicht, ihn zu töten, sie wollte ihn nicht nur besiegen. Ja, natürlich, so war es. Ihr Ziel hatte sich nicht geändert.
Wirklich nicht?
Wo war der brennende Hass, der sie so lange aufrechterhalten hatte? Was war aus ihm geworden?
Dass sie Gavin Blackford nähergekommen war, war möglicherweise ein Fehler, der sie teuer zu stehen kam. Vorher war er in ihrer Vorstellung ein Teufel in Menschengestalt gewesen. Jetzt hatte er die Gestalt eines Mannes mit allen dazugehörigen Möglichkeiten zum Guten wie auch zum Bösen angenommen. Er hatte sich als freundlich und fürsorglich, als ehrenhaft wie auch als stolz erwiesen; er betrachtete die Welt mit toleranter Belustigung und voller Zynismus.
Was sollte sie tun? Ihr Arm schmerzte, und sie war innerlich erschöpft. Der Kampf führte zu nichts, brachte nichts, bewies nichts - es sei denn das Durchhaltevermögen des Mannes, der ihr gegenüberstand. Ihre Bewegungen verlangsamten sich. Im Raum war es so dunkel, dass sie kaum noch etwas sehen konnten.
Zischend erlosch eine weitere Kerze. Ariadne hob die Hand und sagte in aller Deutlichkeit: »Halt.«
»Madame? «
Er trat zurück und ließ sein Florett sinken. Ihr schoss die Frage durch den Kopf, ob das daran lag, dass er seinen Arm nicht mehr heben konnte. »Ich glaube, Sie sind für das hier noch nicht fit genug. Ich hätte es nicht vorschlagen sollen.«
»Sie sind ebenso großmütig wie tapfer. Allerdings frage ich mich, wie Sie darauf kommen, dass ich nicht fit bin.«
»Sie selbst haben mir doch beigebracht, das Verhalten meines Gegners zu analysieren.«
»Und wenn ich sage, dass ich mich aus anderen Gründen zurückgehalten habe?«
Sie musterte sein Gesicht, so gut wie sie es bei der schlechten Beleuchtung vermochte, konnte jedoch keinerlei Ausdruck darin erkennen. »Und was sollen das für andere Gründe gewesen sein?«
»Vielleicht wollte ich feststellen, was Sie gelernt haben. Oder was Sie mir beibringen können.«
Überrascht lachte sie auf. »Ich Ihnen? Das halte ich nicht für sehr wahrscheinlich.«
»Sie haben mir gezeigt, dass das Weibchen unserer Spezies im Gegensatz zum Männchen wählerisch ist, wenn es auf die Jagd geht, und auch in der Hitze der Verfolgung die Fähigkeit zu logischem Denken beibehält.«
»Mir ist nicht ganz klar, wie Sie zu dieser Erkenntnis gekommen sind.« Beziehungsweise sie zog es vor, nicht weiter darüber nachzudenken.
»In den letzten Minuten hätten Sie mich besiegen kön-
nen. Es ist mir ein Rätsel, warum Sie sich zurückgehalten haben.«
Durch die offenen Fenster war grollender Donner zu hören, dem ein Blitz folgte, der den Hof in ein bläuliches Licht tauchte. Ein Windstoß fegte
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