Kann das auch für immer sein?: Sommerflirt 3 (German Edition)
entgleitet. Ich konnte ihr nie sagen, wie sehr sie mir in spiritueller Hinsicht weitergeholfen hat. Wenn es im Konversionsunterricht um die jüdischen Stammmütter ging, habe ich sie mir immer genau wie meine Safta vorgestellt. Ich habe gelesen, dass Abrahams Frau Sarah mit neunzig ein Kind bekommen hat und im hohen Alter von 127 Jahren gestorben ist. Ich wünschte, meine Safta könnte wie Sarah sein (natürlich nicht das mit dem Kinderkriegen mit neunzig … nur das mit dem 127 -Jahre-alt-Werden).
»Ich warte draußen, Amy, damit du und dein Aba in Ruhe reden könnt. Ich bin direkt vor der Tür, wenn du mich brauchst«, sagt Avi.
Mein Dad stellt sich neben mich und streichelt meinen Rücken, während wir zusammen auf die liebste Frau hinunterschauen, die ich kenne. »Als ich sechs war, bin ich von der Schule heimgekommen und habe ihr erzählt, dass mich ein Achtjähriger namens Ido geschubst hat«, erzählt Aba mir. »Kannst du dir vorstellen, was sie gemacht hat?«
»Ist sie zur Schule gegangen, hat sich Ido vorgeknöpft und ihm gesagt, er soll dich in Ruhe lassen?«
»Nein.«
»Hat sie Idos Mutter angerufen und ihr gesteckt, dass ihr Kind die anderen schikaniert?«
»Nein. Sie hat mir gesagt, dass ich das selbst regeln muss. Sie meinte, mit solchen Leuten sei man immer wieder konfrontiert – also könnte ich mir genauso gut jetzt schon überlegen, wie man am besten mit ihnen klarkommt.«
Ich versuche, mir meine Großmutter als junge Frau vorzustellen, stark und voller Energie.
»Wusstest du, dass sie im Krieg war?«, fragt mich mein Dad.
»Welcher Krieg?« Ich weiß, dass alle Israelis Militärdienst leisten müssen. Das Land hat diverse Kriege miterlebt, seit es 1948 von der UN anerkannt wurde, doch ich kann mir meine Großmutter nicht in Armee-Uniform oder mit einem Gewehr vorstellen.
»Sie war im Sinai-Krieg von ’ 56 . Fragt sie mal danach. Damals haben sie Frauen nicht an die vorderste Front gelassen, deshalb hat sie sich als Junge ausgegeben.«
»Holla. Nicht zu fassen, dass meine Großmutter wirklich in den Krieg gezogen ist. Das muss ich unbedingt Roxanne erzählen, wenn ich wieder in der Schule bin, weil die doch immer so damit angibt, dass ihre Großmutter eine der ersten Pilotinnen war.«
Pilot, shmilot. Meine Oma war an vorderster Front. Sieht aus, als wäre ich nicht die einzige Superkriegerin in der Familie. »Wie ist das mit dir und Ido dann weitergegangen? Hast du ihm gesagt, er soll aufhören, dich zu schubsen?«
»Oh ja, das habe ich ihm gesagt. Direkt danach hat er mich gleich wieder geschubst.«
»Was hast du dann getan?«
»Na ja, am nächsten Tag habe ich ihm in der Schule ein Geschenk überreicht.«
»Die Art von Geschenk, bei dem man dem anderen mit der Faust ins Gesicht haut?«
»Nein, meinen neuen Basketball, den mir meine Tante von einer Reise in die Staaten mitgebracht hatte.«
Nur dass ich das recht verstehe. »Ido hat dich geschubst und du hast ihm was geschenkt?«
»Da meine Mom sich nicht einmischen wollte und ich gegen jemand, der zwei Jahre älter war als ich, keine Chance hatte, dachte ich, es wäre das Beste zu versuchen, dass wir Freunde werden.«
»Also hast du dich mit dem Brutalo angefreundet?«
Er nickt.
»Das ist ein fauler Kompromiss. Man sollte solchen Leuten nichts schenken müssen. Das ist in jeglicher Hinsicht total verkehrt.«
»Ich musste ein kleines Opfer bringen, um zu bekommen, was ich wollte. Und am Ende waren wir Freunde.«
Sieht aus, als kämen wir alle nicht darum herum, von Zeit zu Zeit Opfer zu bringen. Es kotzt mich nur an, dass ich es so oft tun muss.
» Aba, wird sie sterben?«
»Letzten Endes.«
»Du weißt, was ich meine. Stirbt sie jetzt? Ist das der Anfang vom Ende?«
»Sie hatte letzte Woche die letzte Chemo. Sie vermuten, dass sie zu wenige weiße Blutkörperchen hat.«
»Und wenn es mehr ist als das?«, schluchze ich.
Er legt seinen Arm um mich. »Versuchen wir, uns bis morgen früh nicht so viele Gedanken zu machen. Dann wissen wir mehr. Avi soll dich jetzt zum Moschaw fahren.«
»Ich will Safta nicht alleinlassen«, sage ich und sehe zu, wie die Sauerstoffmaske beschlägt, wenn sie ausatmet.
»Ich weiß. Aber du kannst heute Nacht nichts für sie tun. Du kannst morgen früh gleich nach dem Aufstehen wieder herkommen. Jetzt geh.«
Ich umarme ihn fest und frage mich, wie wir uns je fremd sein konnten. Ich bin Gott unheimlich dankbar dafür, dass er meinen Dad zurück in mein Leben gebracht hat. Ich wüsste nicht,
Weitere Kostenlose Bücher