Kanonenfutter
Kommandanten in Erinnerung: »Nichts geschieht von allein.«
Vom Fuß des Fockmastes aus, neben dem ein Haufen herabgefallener Takelage lag, beobachtete ihn Stockdale. Er nickte befriedigt. Wieder war ein Kampf vorüber.
Bolitho wartete müde neben Dumaresqs Tisch in der Kajüte der D e stiny . Er war so erschöpft, daß seine Glieder nicht mehr automatisch die Schlingerbewegungen der Fregatte auffingen. Im trüben Morge nlicht hatten sie lesen können, daß die Brigantine Heloise hieß, von Bridport in der Grafschaft Dorset kam und in die Karibik kommandiert war. Unterwegs hatte sie in Madeira eine Ladung Wein übernehmen sollen.
Als Dumaresq das Logbuch der Brigantine durchgeblättert hatte, warf er Bolitho einen Blick zu.
»Setzen Sie sich, Mr. Bolitho, bevor Sie umfallen!«
Er erhob sich und ging zu den achteren Seitenfenstern, preßte sein Gesicht gegen das dicke Glas und schaute auf die Brigantine, die in Lee der Destiny lag. Palliser und ein frisches Prisenkommando hatten vor einiger Zeit übergesetzt, und die Erfahrung des Ersten Offiziers war jetzt auch nötig, um die Schäden auszubessern und das Schiff baldmöglichst wieder flott zu machen.
Dumaresq sagte: »Sie haben sich gut gehalten. Außerordentlich gut. Für einen so jungen Offizier mit so geringer Erfahrung in der Führung von Leuten haben Sie mehr erreicht, als ich zu hoffen wagte.« Er verschränkte die Hände unter den Rockschößen, als müsse er Ärger unterdrücken. »Aber sieben unserer Leute sind tot, weitere schwer verwundet.« Er griff nach oben und drückte mit dem Handrücken das Oberlicht auf. »Mr. Rhodes, versuchen Sie, herauszufinden, wo sich der verdammte Doktor herumtreibt!«
Bolitho vergaß seine Müdigkeit, seine Enttäuschung darüber, daß er das Kommando über die Prise an den Ersten Offizier hatte abgeben müssen. Es faszinierte ihn zu beobachten, wie der Zorn in Dumaresq hochstieg: wie eine glimmende Zündschnur, deren Feuer sich dem Pulverfaß näherte. Sie hatte bewirkt, daß der arme Rhodes oben, als er die Stimme seines Kommandanten unter seinen Füßen hörte, aufsprang.
Dumaresq wandte sich wieder Bolitho zu. »Gute Männer haben ihr Leben verloren – durch Piraten und Mörder, niemand anderen!« Von der falschen Berechnung, die beide Schiffe fast zu Wracks gemacht, auf jeden Fall aber schwer beschädigt hatte, kein Wort. Dagegen: »Ich wußte, daß sie etwas vorhatten. Es wurde mir in Funchal klar, daß es daheim zu viele Augen und Ohren gegeben hatte.« Er zählte die Argumente an seinen dicken Fingern ab: »Erst mein Schreiber, nur wegen des Inhalts der Tasche. Dann die Brigantine, die England zur gleichen Zeit verließ, als wir aus Plymouth ausliefen, und die dann ›zufällig‹ zur gleichen Zeit mit uns in Madeira lag. Ihr Kapitän muß gewußt haben, daß ich nicht gegen den Wind aufkreuzen und ihn jagen konnte. So lange er sich in gebührender Entfernung hielt, war er sicher.«
Bolitho verstand. Hätte die Destiny ihren Vorstoß bei Tageslicht unternommen, hätte die Helols e den Vorteil ihrer Position nutzen können. Die Fregatte hätte sie zwar in jedem fairen Wettkampf ausgesegelt, doch bevor sie sie erreicht hätte, wäre es dunkel geworden, und im Schutz der Dunkelheit konnte die Brigantine, wenn sie gut geführt wurde, mühelos entwischen. Bolitho dachte an den hageren Mann, den er im Kampf niedergestochen hatte. Er tat ihm jetzt beinahe leid. Dumaresq hatte befohlen, daß er herübergebracht wurde, damit Bulkley, der Schiffsarzt, sein Leben rettete, wenn es möglich war.
Dumaresq fügte hinzu: »Wahrhaftig, es paßt alles zusammen. Wir sind auf der richtigen Fährte.«
Der Posten draußen rief: »Der Schiffsarzt, Sir!«
Dumaresq warf dem schwitzenden Doktor einen kurzen Blick zu.
»Es wird auch verdammt Zeit, Mann!«
Bulkley zuckte die Achseln, entweder weil ihn Dumaresqs explosives Temperament kalt ließ, oder weil er so daran gewöhnt war, daß es ihm nichts mehr ausmachte.
»Der Mann lebt, Sir. Eine schlimme Wunde, aber ohne Verunreinigungen.« Er warf Bolitho einen neugierigen Blick zu. »Außerdem ist er ein kräftiger Bursche. Ich bin überrascht und befriedigt, Sie noch in einem Stück vorzufinden, junger Mann.«
Dumaresq fuhr ungeduldig dazwischen: »Lassen wir das jetzt. Wie darf der Schurke es wagen, ein Schiff des Königs herauszufordern! Er hat von mir keine Milde zu erwarten, dessen seien Sie sicher.« Langsam beruhigte er sich. Es war wie nachlassender Seegang, dachte
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