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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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existierten sie teilweise im Transraum, durch den ihre Schiffe flogen. Während der Prüfungen hatte sie eine Art Gefühl für die Hyperdimension bekommen, weiteres Zeichen ihrer Begabung, und als sie nun ihr Selbst öffnete, nahm sie Weite und Tiefe wahr, obwohl sie durch einen schmalen Korridor ging, begleitet von einem Akuhaschi. An den dunklen Wänden zeigten sich Reliefs aus Symbolen – einige von ihnen kannte Lidia bereits, die anderen würde sie bald kennen lernen, während ihrer Ausbildung. Hier und dort glühten mobile Leuchtkörper an der Decke und den Wänden, und ihre Anordnung vermittelte subtile Botschaften, die Lidia noch nicht verstand. Sie wusste, dass die Kantaki nichts dem Zufall überließen. Bei der Gestaltung ihrer Umwelt und der Konstruktion ihrer Gebäude achteten sie auf jedes Detail, betteten alle Einzelheiten ein in ihren Sakralen Kodex, der weitaus mehr darstellte als nur eine Sammlung von Vorschriften und Prinzipien. Er hatte die Bedeutung einer Philosophie, einer Religion. Lidia erinnerte sich an einen Philosophen von der Erde, der über die Kantaki geschrieben hatte: »Sie haben es nicht nötig, an Gott zu glauben. Sie wissen, dass Gott existiert.«
    Der Flur schien endlos zu sein, und schon vor einer ganzen Weile waren sie an der Tür vorbeigegangen, die zu den Testalkoven führte, wo man Pilotenanwärter auf ihre Gabe hin prüfte. Die Textur der Umgebung veränderte sich allmählich, spürte Lidia. Das Gefühl von Weite und Tiefe wich einer besonderen Intensität. Weiter vorn, dort, wo der Korridor im konturlosen Schwarz zu verschwinden schien, verdichtete sich eine Präsenz, die im Hier wurzelte, jedoch über die üblichen Dimensionen von Raum und Zeit hinausging. Lidia nahm eine Erhabenheit wahr, die fast einer religiösen Erfahrung gleichkam und sie mit Ehrfurcht erfüllte. Sie glaubte zu schrumpfen und an Bedeutung zu verlieren, während um sie herum alles größer und wichtiger wurde.
    Der Korridor endete nicht im Nichts, sondern vor einer ebenfalls mit Symbolen verzierten schwarzen Tür. Darüber glühte ein Leuchtstreifen, und sein Licht fiel auf den Akuhaschi, der sich Lidia zuwandte; es glitzerte in seinen dunklen Augenschlitzen. Bewegung kam in das verschrumpelte Gesicht, und Lidia glaubte, ein Lächeln darin zu erkennen.
    »Sind Sie bereit?«, fragte der Akuhaschi.
    »Ja, das bin ich«, sagte Lidia.
    »Ein neues Leben beginnt jetzt für Sie«, verkündete der Akuhaschi feierlich. »Sie lassen Ihr altes Selbst hier zurück, ein neues wartet dort auf Sie.« Er deutete auf die Tür. »Sie werden wachsen und viel mehr werden, als Sie jetzt sind.«
    Lidia nickte.
    Der Akuhaschi zögerte. »Sie haben keinen Konfidenten?«
    Ein Hauch von Trauer tastete nach Lidia, aber sie schob dieses Empfinden entschlossen beiseite. Sie hatte ihre Wahl getroffen.
    »Nein«, sagte sie. »Ich bin allein.«
    Der Akuhaschi deutete auf die Tür, und sie schwang nach innen auf, ohne dass er sie berührte. »Gehen Sie«, sagte er und deutete eine Verbeugung an. »Ich wünsche Ihnen Zufriedenheit auf Ihrem Weg.«
    »Danke«, erwiderte Lidia und trat durch die offene Tür, die sich hinter ihr lautlos schloss.
    Das Gefühl der Präsenz wurde zu einer Gewissheit, die Substanz gewann. Vor ihr, in der Mitte des Raums, wartete ein Kantaki auf sie.
    Die Gestalt war nur undeutlich zu erkennen, blieb ein Schemen in dem halbdunklen Raum. Dinge ragten aus den Wänden und der Decke, wie verdreht wirkende Objekte hier, Zylinder und stachelartige Gebilde dort. Die Beschaffenheit des Raums erinnerte an die der Kantaki-Schiffe: Es fehlte Symmetrie, aber trotzdem deutete etwas auf eine ausgewogene Struktur mit einem inneren Gleichgewicht hin.
    Lichter glühten im Raum auf, wie frei schwebende Sterne, und ihr Schein drängte die Schatten ein wenig zurück. Die Gestalt in der Mitte entfaltete sich, und ein sonderbares Klicken ging von ihr aus.
    »Komm näher«, ertönte es ruhig aus einem Lautsprecher, und Lidia begriff, dass die Aufforderung von dem Kantaki stammte. Sie kam ihr nach und trat näher an das Wesen heran.
    Es erinnerte sie an eine Gottesanbeterin, aber diesem ersten Eindruck fügten sich sofort weitere hinzu und schufen ein komplexeres, vollständigeres Bild. Die langen, dünnen Gliedmaßen wirkten insektenartig, ebenso wie der dreieckige Kopf, der auf einem dünnen, ledrigen Hals ruhte. Zwei multiple Augen wölbten sich über die rechte und linke Gesichtshälfte, bestehend aus tausenden von kleinen

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