Kantaki 01 - Diamant
Valdorian saß im Grünen Zimmer der Villa, hinter einem Schreibtisch, dessen grünes Edelholz aus dem Dschungel von Tintiran stammte. Vor ihm glühte die pseudoreale Darstellung eines Teils der Milchstraße mit den vielen von Menschen besiedelten Welten.
»Wir stehen erst am Anfang«, sagte Hovan Aldritt. »Dies ist nur ein Spiralarm der Galaxis, die Milliarden Sterne enthält. Und diese Galaxis ist nur eine von Milliarden.« Er berührte die Sensorflächen eines Kontrollgeräts, und die dreidimensionale Darstellung schwoll an. Rubinrote Linien verbanden die Sterne miteinander und bildeten ein spinnenartiges Netz in der ganzen Milchstraße: die Routen der Kantaki und Horgh. »Eines Tages wird es unseren Wissenschaftlern und Ingenieuren gelingen, einen eigenen überlichtschnellen Antrieb zu entwickeln. Dann sind wir nicht mehr abhängig von den Kantaki oder gar den Horgh. Dann beginnt unsere eigentliche Expansion. Die Xurr haben damals bewiesen, dass es auf dem Gebiet der überlichtschnellen Raumfahrt Alternativen gibt. Wir werden ebenfalls eine finden.« Er wandte den Blick von der pseudorealen Darstellung ab und sah zu seinem Sohn. »Wir sind die Protagonisten dieses Geschehens. Wir folgen nicht dem Weg, sondern bestimmen, in welche Richtung er führt.«
Rungard Avar Valdorian litt an Kopfschmerzen. Er hatte die Höhle im Meer erst vor einer Stunde verlassen, nach einem mehrstündigen Schlaf. Sein Vater sprach von einem Weg, und er begriff, dass er selbst an einem Scheideweg stand.
Hier und heute, an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt, musste – und wollte – er eine Entscheidung treffen, die den Rest seines Lebens bestimmte. Anschließend gab es kein Zurück.
Ein Teil von ihm bedauerte, dass die Entscheidung vor allem auf Trotz und Zorn basierte, weniger auf rationalen Überlegungen.
»Ich habe über das nachgedacht, was Sie mir gesagt haben«, sagte Valdorian und trat langsam zum Schreibtisch, dessen Grün ihn an Lidias Augen erinnerte. »Sie haben Recht, Vater. Ich bin ebenso wie Sie unseren Vorfahren verpflichtet. Wir müssen weiterführen, was sie begannen.«
»Es freut mich, das von dir zu hören«, erwiderte Hovan Aldritt. Er stand auf, kam hinter dem Schreibtisch hervor und blieb vor seinem Sohn stehen. »Du bist also zur Einsicht gekommen.«
»Ja, Vater«, sagte Valdorian, und der Trotz in ihm trieb ihn noch ein Stück weiter. »Ich habe die Beziehungen zu Lidia DiKastro abgebrochen.«
Damit waren sie ausgesprochen, die entscheidenden Worte. Der Atem, der ihnen Klang gegeben hatte, wurde zu einem Sturm, der ein ganzes Leben veränderte, die Dinge in neue Perspektiven rückte.
Der erste Schritt war getan; weitere würden folgen und ihn immer weiter von dem Leben entfernen, das möglich gewesen wäre.
Sein Vater legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich bin sehr stolz auf dich.« Er sah auf die Uhr. »Ich muss jetzt zu einer Besprechung, aber nachher setzen wir dieses Gespräch fort. Ich möchte dich mehr als bisher an der Leitung unserer Unternehmensgruppe beteiligen.« Damit ging er fort.
Valdorian blieb allein im Grünen Zimmer zurück und blickte zum Schreibtisch, über dem noch immer die Projektion glühte. Stille senkte sich herab, wie ein schweres Gewicht, das ihn zu zermalmen drohte. Er gab dem Alkohol die Schuld und erneuerte seine Entschlossenheit, nie wieder einen Tropfen zu trinken.
Etwas hinderte Valdorian daran, sich zu bewegen. Wie erstarrt stand er da, den Blick auf pseudoreale Sterne gerichtet.
»Es tut mir so Leid«, ertönte eine sanfte Stimme hinter ihm.
Valdorian drehte sich um und sah seine Mutter, die im Eingang des grünen Zimmers stand. Kummer und Anteilnahme zeigten sich in ihrem Gesicht, das ihm gleichzeitig vertraut und fremd war.
»Personen sind wichtiger als Dinge«, sagte seine Mutter. »Ich habe das zu spät begriffen.«
Valdorian fragte sich nicht, woher sie Bescheid wusste. Ihre Präsenz verwandelte den Zorn in Trauer, und plötzlich spürte er, wie ihm Tränen über die Wangen rannen.
Seine Mutter umarmte ihn, und er weinte, zum letzten Mal in seinem Leben.
19. Juli 301 SN · linear
Im Inneren schien die Sakrale Pagode größer zu sein als draußen, und Lidia DiKastro gewann erneut den Eindruck von Fremdartigkeit. Die Kantaki waren anders. Sie lebten in einer Hyperdimension mit mehr Richtungen, als menschliche Sinne direkt wahrnehmen konnten, in einer Raum-Zeit, deren Struktur sie zum Teil selbst bestimmten. Vielleicht, so spekulierte Lidia,
Weitere Kostenlose Bücher