Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
Ufer!« Wenn sie hier abstürzten… Er glaubte nicht, dass er so weit schwimmen konnte. An die gefräßigen Geschöpfe im Acheron wollte er gar nicht denken.
    Das Geschöpf neigte sich zur Seite, hob die Schwingen und flog in einem weiten Bogen, der grünen Mauer am rechten Ufer des breiten Stroms entgegen. Wenige Sekunden später erzitterte es heftiger als zuvor, und die Klauen schlossen sich wie in einem Krampf um Eklund.
    »Raimon…«, brachte der Alte erschrocken hervor. »Raimon, du tust mir weh!«
    Die unterste Klaue berührte das Wasser, und ein sonderbares Zischen erklang. Das Ufer war noch immer ein ganzes Stück entfernt, aber die Raimon-Kreatur schaffte es, erneut mit den Flügeln zu schlagen und etwas an Höhe zu gewinnen. Dann fiel sie endgültig, ohne die Möglichkeit, noch einmal aufzusteigen.
    Eklund sah, wie das braune Wasser näher kam, und er befürchtete plötzlich, dass sich die Klauen, die ihn die ganze Zeit über festgehalten hatten, nicht öffneten, dass sie unter Wasser einen Käfig bilden würden, in dem er ertrank. Er hielt die Luft an, als das Geschöpf in den Fluss klatschte, und plötzlich herrschte ein Durcheinander aus Bewegungen und schäumendem Wasser, ein Chaos, in dem unten, oben, rechts und links nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren. Eklund fühlte, dass die Klauen zurückwichen, aber er wusste nicht, in welche Richtung er sich wenden sollte. Die Worte eines Opaltauchers, den er vor Jahren geheilt hatte, fielen ihm ein, und er zwang die zugekniffenen Augen auf, orientierte sich anhand der aufsteigenden Luftblasen und folgte ihnen. Wenige Sekunden später durchstieß sein Kopf die Wasseroberfläche, und er schnappte nach Luft. Die rechte Hand bekam etwas zu fassen, einen dicht über dem Wasser hängenden Ast, und daran zog er sich entlang, bis er schlammigen Boden unter den Füßen spürte. Schnaufend watete er ans Ufer.
    Raimon lag dort, halb Drachenwesen, halb Mensch, und Eklund beobachtete die gespenstische Metamorphose. Die langen Klauen waren bereits wieder zu menschlichen Beinen geworden, aber der Rest – der pfeilförmige Kopf, die breiten, ledrigen Schwingen, der schuppige Leib – verwandelte sich in eine graubraune, wachsartige Masse, die sich wie von unsichtbaren Händen geknetet bewegte. Sie zitterte und bebte, bildete Mulden und Buckel, gewann innerhalb von Sekunden deutliche Strukturen. Der Rumpf eines schmächtigen Jungen entstand. Arme fügten sich ihm hinzu, dann auch ein Kopf, mit geschlossenen Augen und einem leeren Gesicht. Nichts blieb übrig von dem Geschöpf, das Eklund vom Baumhaus tief im Innern des Kontinentalwaldes hierher gebracht hatte. Ein Knabe ruhte dort am schlammigen Ufer, die Füße im langsam dahinströmenden Wasser, nackt und erschöpft. Vielleicht schlief er; vielleicht war er bewusstlos.
    Eklund zog ihn vorsichtig ganz aufs Trockene, und dabei meldete sich erneut der stechende Schmerz in seinem Rücken. Er achtete nicht darauf und sah sich um. Auf der einen Seite floss der Acheron träge dem fernen Riffmeer entgegen, und auf der anderen erstreckte sich die dichte Vegetation des Kontinentalwaldes. Dies war eine Art Niemandsland, eine schmale Zone, die weder ganz dem Fluss noch ganz dem Wald gehörte, ein Übergangsbereich, mal von der Fauna des Dschungels beansprucht, mal vom Strom überflutet.
    Das Boot bemerkte Eklund erst beim zweiten Blick. Es bestand nicht aus Holz, sondern aus leichter Synthomasse, und es trug eine tarnende Kruste aus Dreck und Schlamm. Außerdem steckte es halb im Gestrüpp, und auf die Augen eines flüchtigen Betrachters wirkte es wie ein besonders dicker Ast oder die Reste eines Baumstamms. Eklund trat näher, sah die verwitterten Pflöcke einer Anlegestelle und einen schmalen, halb überwucherten Pfad, der vom Gestrüpp in den Wald führte. Schon seit langer Zeit schien dort niemand mehr unterwegs gewesen zu sein.
    Eklund fragte sich, ob dies ein Zeichen der Weltseele war. Bedeutete die Präsenz des herrenlosen Bootes, dass sie den Weg nach Chiron und zur Zitadelle über den Acheron fortsetzen sollten? Bei diesem Gedanken fiel ihm Elisabeth ein, die angeblich zu viel gesehen hatte, um noch an einen Gott zu glauben. Ihr atheistisches Weltbild ließ für so etwas wie Vorsehung und Divinität keinen Platz, aber selbst sie musste eingestehen, dass es Dinge gab, die sich nicht ohne weiteres erklären ließen.
    Eklund runzelte die Stirn, als ihm etwas einfiel. Er griff in die Tasche und holte den Kom-Servo

Weitere Kostenlose Bücher