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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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stromlinienförmig wie der eines Fisches und endete in einem langen, pfeilförmigen Kopf. Ein solches Wesen hatte es auf Kerberos nie zuvor gegeben, da war sich Eklund ziemlich sicher. Und damit meinte er nicht nur das Drachengeschöpf, sondern auch und vor allem den Jungen, der sich in die geflügelte Kreatur verwandelt hatte. Welch ein mächtiges Wesen, ausgestattet mit der Möglichkeit, sich eine ganz neue Gestalt zu geben. Aber Eklund spürte auch Hilflosigkeit und Schmerz, eine tiefe Sehnsucht nach etwas, das er noch nicht verstand. Etwas hinderte Raimon – wer und was auch immer er war – daran, er selbst zu sein. Hundert Stimmen ergaben keinen Chor und hundert Musikinstrumente kein Orchester.
    Aber wenn die vielen Stimmen und Töne zueinander fanden, wenn das akustische Chaos Struktur bekam, so konnte eine prächtige Symphonie daraus werden. In diesem Fall bedeutete die Symphonie: Verstehen, ein klares Bild aus den vielen verstreuten Mosaiksteinen, jedes einzelne von ihnen ein Bedeutungsfragment.
    Bruder Eklund fühlte mehr, als dass er wusste: Das Mandala in der Zitadelle konnte alle ihre Fragen beantworten. Es bot einen anderen Weg ins Elysium, vielleicht in einen anderen Teil des Elysiums, in das öde Land, wo die Frau ohne Gesicht auf sie wartete. Und sie wartete wirklich – Raimon hatte bei seiner Rückkehr zum Baumhaus darauf hingewiesen. Nur das Mandala ermöglichte einen direkten Kontakt mit jener Frau, doch um es zu erreichen, mussten sie nach Chiron zurück, und dort suchten die Sekuritos nach ihnen…
    Ich werde dich nicht enttäuschen, Seele der Welt, dachte Eklund. Ich werde die Mission erfüllen, mit der du mich beauftragt hast. Denn diese Mission, so spürte er, gab seiner Existenz einen Sinn, all den Dingen die er ge- und erlebt, die er gefühlt und berührt hatte. Wie damals in der Vision, vor vielen Jahrzehnten… Seltsam, dass er sich ausgerechnet jetzt an sie erinnerte. Oder vielleicht war es gar nicht so seltsam. Die Vision hatte ihn angetrieben, nicht immer bewusst, meistens auf einem unterschwelligen Niveau, wie ein Ruder, das ein Schiff in eine bestimmte Richtung lenkte. Die Frage lautet: Was erwartet mich? Ein sicherer Hafen? Oder Felsen, an denen ich zerschellen könnte?
    Die Klauen, die Eklund hielten, erzitterten plötzlich, und instinktiv schloss er die Hände um sie. »Raimon?«, rief er dem Geschöpf zu. »Ist alles in Ordnung?«
    Die ledrigen Schwingen vibrierten stärker als vorher, und das geflügelte Wesen verlor an Höhe. Eklund gewann den Eindruck von Schwäche.
    »Wirst du müde, Raimon?«, rief er und erinnerte sich an den langen Schlaf des Jungen nach seiner Rückverwandlung. Wie viel Energie kosteten solche Transformationen?
    Und wie erneuerte Raimon seine Kraft? Vielleicht hätten sie noch ein oder zwei Tage in der Baumhütte verbringen und nicht so schnell aufbrechen sollen.
    Eklund blickte nach unten und bemerkte… eine Art Linie, die auf der rechten Seite gerade durch den Kontinentalwald führte. Er begriff sofort, dass es sich um einen der Verkehrskorridore handelte, die weit durch den Dschungel führten, bis hin nach Chiron im Delta des Acheron, dessen im Licht der Sonne glitzerndes Band auf der linken Seite sich durch den Wald schlängelte.
    Das Geschöpf krächzte, und für Eklunds Ohren klang es… müde, ja, und auch schmerzerfüllt. Raimon litt noch immer.
    »Wenn du landen und dich ausruhen willst, Raimon…«, rief Eklund nach oben. »Meide die Straße. Dort sind immer Transporter unterwegs, und praktisch alle haben Kom-Servi an Bord. Jemand könnte uns sehen und die Sekuritos verständigen.«
    Der Flug des Geschöpfs wirkte jetzt nicht mehr souverän, sondern unsicher; es schien Mühe zu haben, sich in der Luft zu halten. Das lange Band der Straße kam näher, zu nahe, und dann drehte das Wesen nach links ab, schlug einmal mehr mit den Schwingen und flog in Richtung Fluss, etwa zehn Meter über den Wipfeln der höchsten Bäume.
    »Das ist eine gute Idee«, lobte Eklund. »Vielleicht findest du am Ufer des Acheron einen freien Bereich für die Landung.«
    Seine Besorgnis wuchs, denn das Wesen flog jetzt nicht mehr – es fiel. Die Baumwipfel kamen schnell näher, und einige besonders weit aufragende Zweige streiften über die unteren Klauen. Eklund zog die Beine an, aber viel Bewegungsspielraum blieb ihm nicht.
    Und dann waren sie über dem Fluss und ließen das rechte Ufer immer weiter hinter sich.
    »Zurück!«, rief Eklund. »Flieg zurück zum

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