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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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entstand im Firmament, und durch dieses Loch blickten Augen, fremdartige Augen, wie losgelöst von den Wesen, denen sie irgendwann einmal gehört hatten.
    Raimon verharrte kurz und deutete nach oben. »Zähl sie.«
    Eklund zählte, und das Ergebnis überraschte ihn nicht. Es waren siebzehn.
    Die Wolken wurden dunkler, zogen schneller über den Himmel, wie von den Winden eines Sturms dahingetrieben, doch nicht ein Ausläufer von ihnen geriet in den runden Bereich, in das Himmelsloch, das allein den Augen vorbehalten blieb.
    »Es sind die Augen der Kapsel«, sagte Raimon. »Die Augen des Steuernden und Kontrollierenden.«
    »Woher weißt du das alles?«
    »Ich bin ein Teil davon. Und auch von ihr. Ich bin die Verbindung, die sie gebraucht hat.«
    Raimon näherte sich einem der Türme, und als er ihn berührte, bildeten sich weitere Öffnungen in ihm. Eklund hörte ein leises Surren, und weiße, handtellergroße insektenartige Geschöpfe kamen aus ihnen hervor, nicht siebzehn, sondern hunderte, tausende und noch viel mehr. Ihre Körper hatten unterschiedliche Strukturen, ähnelten Kobaltfliegen und anderen Insektoiden von Kerberos, und Eklund vermutete, dass diese Ähnlichkeit kein Zufall war. Wenn er Raimon richtig verstanden hatte, steckte ein manipulierender Einfluss hinter der Entwicklung des Lebens auf Kerberos. Es war gestaltet worden, zu einem bestimmten Zweck. Auch aus den anderen Türmen kamen zahllose weiße Insektoiden, stiegen auf und begannen damit, ein filigranes Netz zu spinnen, von Turmspitze zu Turmspitze, und darüber hinaus. Die Mission dieses Lebens geht nun zu Ende. Und damit auch meine. Zwei Kreise schlossen sich, nicht nur einer. Doch der eine dieser beiden Kreise war viel, viel größer als der andere.
    »Die Türme sind das Agens«, sagte Raimon und zeigte nach oben, zum Netz, das schnell größer und komplexer wurde. Es mussten Millionen der insektenhaften Wesen sein, die daran sponnen und ihm eine präzise Struktur gaben. »Es war taub und stumm, und es schlief wie sie, aber gleich sollten wir seine Stimme hören.«
    Das Netz erglühte wie zuvor die Türme, und sein Licht erweiterte das Himmelsloch, drängte die Wolken zurück; ein weicher Glanz senkte sich auf die öde Welt hinab, die plötzlich gar nicht mehr so abweisend wirkte.
    Weiter vorn, in der Mitte des kleinen Turmwaldes, bemerkte Eklund das Podest, und darauf eine wartende Gestalt, die Frau ohne Gesicht.
    Agens: Integrität vollkommen wiederhergestellt. Kollektoren nehmen weiter Energie auf.
    Eklund blickte sich erstaunt um, auf der Suche nach dem Ursprung der Stimme.
    »Die Stimme des steuernden und kontrollierenden Aspekts der Kapsel«, erklärte Raimon.
    Über ihnen surrte und zirpte es, als die vielen tausend Netzknüpfer von ihrem schimmernden Konstrukt abließen und durch die Öffnungen in die Türme zurückkehrten.
    Eine Bewegung auf dem Podest weckte Eklunds Aufmerksamkeit. Die Gestalt, die dort bisher auf einer Sitzbank gesessen hatte, erhob sich.
    »Sie erwartet uns«, sagte Raimon. »Komm.« Er griff nach Eklunds Hand, und Junge und Greis näherten sich dem offenen Bereich in der Mitte des Turmhains.
    Agens: Keim ist erwacht. Defensivum aktiv.
    »Was bedeutet das?«, fragte Eklund.
    »Es bedeutet, dass wir keine Zeit mehr haben.« Raimon ging schneller, durch das Licht des Netzes, das sich um ihn herum verdichtete. Das Podest war sein Ziel.
    Agens: Defensivum des Keims hat das lokale Sonnensystem separiert. Restriktion findet statt. Absicht: Potenzialerhöhung.
    Raimon lief jetzt, so schnell, dass Eklund nicht mit ihm Schritt halten konnte. Es stachen keine Schmerzen mehr in seinem Rücken, aber er trug nach wie vor die Last des Alters.
    Agens: Repristination des Keims komplett. Ergänzung fehlender Komponenten. Transferbeginn.
    Agens: Kritische Situation. Dringlichkeit.
    Dringlichkeit, hallte es in Eklund wider, während er zu laufen versuchte und beobachtete, wie die Entfernung zu Raimon immer größer wurde. So hatte er sich immer die Stimme der Weltseele vorgestellt: eine Stimme, die alles andere übertönte, selbst wenn sie nur flüsterte, die sofort jeden Gedanken und jedes Gefühl beherrschte, wenn sie erklang. Er sah zu den weißen Türmen, die das von den Insektoiden gesponnene Netz wie ein leuchtendes Dach trugen, hob den Blick zum Himmelsloch, durch das siebzehn Augen herabstarrten… Und plötzlich, während er noch so schnell wie möglich einen Fuß vor den anderen setzte, begriff Eklund, dass er sich sein

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